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Mittwoch, 8. August 2018

Gewalt in Mexiko Der schwierige Kampf gegen Drogenbanden


Stand: 08.08.2018 13:01 Uhr
Täglich werden in Mexiko mehr als 85 Menschen getötet. Was tun gegen die Gewalt? Der designierte Präsident López Obrador hat zu "Friedensforen" aufgerufen. Im Gespräch ist auch eine Amnestie für Drogenhändler.
Von Christina Fee Moebus, ARD-Studio Mexiko-Stadt
Drei Jahre und neun Monate hat Marisela Orozco gesucht, gebangt, gehofft. Dann kam die Gewissheit: Ihr Sohn Gerson ist tot. Die Überreste seines Körpers wurden in einem Massengrab gefunden - zusammen mit etwa 290 anderen Leichen. Der Architekturstudent wurde im nordöstlichen Bundesstaat Veracruz entführt. Laut Autopsie prügelten ihn die Täter zu Tode.
Der Tag, an dem er verschwand, ist Marisela noch heute bis ins kleinste Detail ins Gedächtnis gebrannt: "Ich kann das nicht überwinden. Die Jahre vergehen, aber es tut immer noch so weh. Ich weiß jetzt mit Sicherheit, dass Gerson nicht mehr lebt, aber es ist genauso schmerzhaft wie vorher. Eine Mutter kann damit keinen Frieden finden."
Marisela und ihre Enkelin Mitchel
Die Enkelin Mitchel bringt Marisela Freude.

Lösegeldzahlung - ohne Erfolg

Gerson hatte eines Morgens gesagt, er würde sich noch mit Freunden treffen. Aber der damals 19-Jährige kam nie wieder. Die Familie stellte eine Vermisstenanzeige, meldete sich bei der Polizei - vergeblich. Sie sagte, man solle warten - der Junge tauche sicher wieder auf. Währenddessen meldeten sich die Entführer telefonisch: Umgerechnet 3700 Euro wollten sie im Tausch für Mariselas Sohn haben. Die Familie zahlte.
Dann folgte eine Tragödie der nächsten. Mariselas zweiter Sohn Alan ging zusammen mit dem Lebenspartner der Tochter los, um nach dem Vermissten zu suchen. Sie trafen auf die Entführergruppe - am Ende wurden die beiden jungen Männer in ihrem Auto niedergeschossen.

Kampf gegen Drogenbanden gescheitert

Geschichten wie die von Marisela gehören in Mexiko zum grausamen Alltag. Der Kampf gegen Drogenbanden ist klar gescheitert. Mehr Militär und mehr Polizei gleich weniger Gewalt - diese Rechnung ging nicht auf. Der frisch gewählte Präsident Andrés Manuel López Obrador kündigte einen Paradigmenwechsel an und brachte eine Amnestie für kleinere Drogenhändler: "Gewalt lässt sich nicht mit Gewalt verhindern. Ich glaube nicht an das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn."
Proteste gegen die Gewalt in Mexiko. | Bildquelle: dpa
Menschen protestieren gegen die Gewalt in Mexiko - auf Plakaten halten sie Fotos der Opfer.
Mehr als 30.000 Menschen sind im letzten Jahr aufgrund von Drogenkriminalität gestorben. Tausende gelten als vermisst. Daher hat López Obrador außerdem landesweit zu Gesprächsforen aufgerufen - Frieden und Versöhnung sollen sie bringen. Opfer sowie Vertreter aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik beraten gemeinsam an einem Tisch, wie es weitergehen kann.

Gesprächsforen - mehr als nur Symbolpolitik?

Start war in Ciudad Juarez im nördlichen Bundesstaat Chihuahua. Der Ort hat Symbolcharakter: Die Grenzstadt gilt als eine der gefährlichsten Mexikos. 17 Orte in zwei Monaten sind geplant. Am Ende soll ein Vorschlag für einen Gesetzesentwurf stehen. Viele Menschen setzen auf den angehenden Präsidenten, der im Dezember offiziell sein Amt antritt. Man hofft, dass die Gesprächsforen mehr als nur Symbolpolitik sind. So auch Tania Ramírez vom Opferverband "Mexiko vereint gegen Kriminalität": "Ohne Zweifel ist Korruption ein Problem, was sich durch all unsere Lebensbereiche in Mexiko zieht. Eine Amnestie oder ein neues Gesetz werden nicht einfach auf magische Weise funktionieren. Eine Reihe von Dingen muss dann auch konkret umgesetzt werden - so auch die Bekämpfung von Korruption."

Aufklärungsquote von Mordfällen ist niedrig

Nur etwa zwei Prozent der Mordfälle werden in Mexiko überhaupt aufgeklärt. Es ist schon jetzt eine Amnestie wider Willen, verursacht durch eine hohe Straflosigkeit und schwache Institutionen. Oft arbeiten Militärs und Polizei mit den lokalen Drogenkartellen zusammen. Auch Marisela Oroczo unterstützt den linken Politiker Lopéz Obrador in seinem Vorhaben. Aber eine Amnestie lehnt sie ab: "Du kannst diesem armseligen Menschen, der deinen Sohn getötet hat, nicht verzeihen", sagt sie.
Um zumindest verarbeiten zu können, widmet sie sich jetzt voll und ganz der Hinterbliebenenarbeit. Sie ist zur Stimme für viele Opfer geworden, reist um die Welt, um sich für eine bessere Anti-Drogenpolitik einzusetzen. Unter anderem hat sie auch schon vor den Vereinten Nationen in Wien gesprochen. Mariselas erklärtes Ziel: dass es keiner Mutter mehr so ergeht wie ihr. 

Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 08. August 2018 um 12:10 Uhr.

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