von Eckhard Leyser
Weihnachten nahte, das
Fest der Liebe und der Geburt Jesu. Für Jonas war das Weihnachtsfest
einfach das Höchste. Am meisten freute er sich auf den geschmückten
Weihnachtsbaum, das Licht der vielen Kerzen und den Duft von frisch
gebackenem Weihnachtsgebäck.
Besonders
wichtig war für ihn, dass er in diesem Jahr wieder beim Spiel der
Herbergssuche mitmachen durfte. Als Viertklässler der Grundschule
war dies wohl zum letzten mal, da er danach zu einer anderen Schule
wechseln würde. Er spielte den Wirt bei der Herbergssuche von Maria
und Josef, nicht gerade die Hauptrolle aber dennoch wichtig für die
Handlung. Wochenlang hatten sie auf der Bühne des Bürgerhauses
geprobt. Frau Müller, seine Klassenlehrerin, legte besonderen Wert
auf gute Aussprache und ein glaubwürdiges Auftreten.
Pfarrer Lehmann hatte
sie im Religionsunterricht noch einmal intensiv eingestimmt auf die
besondere Situation von Maria und Joseph, die sich vor 2000 Jahren
abgespielt hatte. Er zog auch Parallelen zu heute, wo immer noch auf
der ganzen Welt Flüchtlinge unterwegs seien, denen niemand helfen
würde. Das beeindruckte Jonas sehr, denn er kam aus seiner sehr
sozial eingestellten Familie. Seine Mutter half regelmäßig bei der
Bad Dürkheimer Tafel aus und verteilte Essen an Bedürftige. Sein
Vater war ehrenamtlich bei der Feuerwehr Maxdorf und bei den meisten
Einsätzen immer einer der Ersten am Einsatzort ohne Rücksicht auf
Schlaf oder Gesundheit.
Endlich kam der 4.
Adventssonntag. Pünktlich trafen Schüler und Lehrer im Bürgerhaus
ein, um noch einmal zu prüfen, ob auch alles klappen würde.
Etwas später kamen
nacheinander die restlichen Schüler mit ihren Lehrern hinzu. Der
Saal füllte sich zusätzlich mit Eltern, Großeltern, Verwandten und
Gästen. Viele hatten Kameras und Camcorder dabei, um das Ereignis
festzuhalten. Die Stimmung war aufgeregt und von angespannter
Erwartung geprägt.
Die Gespräche
schwollen zu einem immer stärkeren Summen an, weil sich die Menschen
so viel zu sagen hatten. Viele winkten ihren Kindern auf der Bühne
zu, um zu zeigen, dass sie sich auf die Vorführung freuten. Auch
Jonas Eltern waren erschienen.
Endlich bat die
Schuldirektorin Frau Beckmann energisch um Ruhe. Sie begrüßte alle
Gäste und bat Frau Müller, mit dem Stück zu beginnen. Die Bühne war
herrlich geschmückt mit Bäumen, Kerzen, Weihnachtssternen und einer
bunten Häuserkulisse. Blickfang war im Schatten eines stattlichen
Weihnachtsbaumes ein heimeliger Stall mit Kindern, die sich als
Ochsen, Esel und Schafe verkleidet hatten. In der Mitte stand eine
kleine hölzerne Krippe. Als erstes sang der Kinderchor.
Teresa schilderte
anschließend zur Einstimmung aus dem Lukas-Evangelium, in welcher
Notlage Maria und Joseph sich damals befanden. Maria war
hochschwanger und die Stadt völlig überfüllt. Anna spielte die
verzweifelte Maria und Sven den überaus besorgten Joseph. „Wie geht
es Dir Maria?“ fragte er mit eindringlichem Blick auf sein Weib, die
ihm antwortete „Ich kann nicht mehr lange, Joseph. Komm wir
versuchen, eine Unterkunft zu finden.“ Als erstes klopften sie an
die Tür des Schmiedes. Patrick, der den Schmied darstellte, öffnete
die Tür und stellte sich breitbeinig davor. Er hatte ein
geschwärztes Gesicht und zeigte eine grimmige Miene. In der Hand
hielt er einen großen Hammer. „Was wollte ihr denn mitten in der
Nacht“ fragte er mit lauter und drohender Stimme. „Oh Herr“, bat
Joseph mit weicher Stimme, „mein Weib ist hochschwanger. Wir suchen
eine Bleibe nur für eine Nacht. Habt Erbarmen mit uns!“. „Ich habe
für Gesindel wie euch keinen Platz! Macht, dass ihr wegkommt!“
Sprach’s und schlug die Tür so fest zu, dass ein Baum aus der
Dekoration umfiel. Einige Kinder aus dem Publikum lachten, doch
Jonas war erschrocken über so viel Herzlosigkeit. Er hatte zwar die
Szene schon oft in den Proben erlebt, doch es ging ihm immer noch
sehr an sein weiches Gemüt. Der Kinderchor sang ein kleines Lied
über die Herbergssuche während sich Maria und Joseph zum nächsten
Haus aufmachten.
Dieses mal klopften
sie beim Bäcker, der von Lukas gespielt wurde. Er war ganz weiß
angezogen und staubig vom Mehl. „Wer stört mich mitten in der Nacht“
polterte er „Ich muss Brot backen für die vielen hungrigen Mäuler!“.
„Habt Erbarmen, Herr“ jammerte Joseph. „Mein Weib kommt heute Nacht
nieder und wir haben keine Unterkunft!“ „Mit mir hat auch niemand
Erbarmen“ entgegnete der Bäcker schroff. Schafft euch fort, sonst
lasse ich die Hunde los!“ Maria und Joseph zuckten zusammen und
hielten sich an den Händen, als wenn sie sich gegenseitig schützen
wollten.
Wieder sang der
Kinderchor eine Strophe. Nun begaben sich Maria und Joseph zum
dritten und letzten Haus, das von Jonas besetzt war. Er spielte den
Wirt und sah sehr glaubwürdig aus mit seiner speckigen Schürze und
dem Küchentuch über der Schulter. „Wir sind ganz verzweifelt und am
Ende, gebt uns doch ein Obdach nur für eine Nacht!“ sprach Joseph
und sah Jonas eindringlich an. Maria hielt ihren Leib und lehnte
sich an Joseph. Jonas traute seinen Augen nicht. Maria weinte sogar
und vergoss dicke Tränen, die ihre Wangen herunter liefen.
Jonas spürte, wie sich
sein Magen verkrampfte und seine Hände zitterten. Er wusste, dass er
nun als erstes sagen musste: Schert euch weg, ihr Lumpenpack! Ihr
habt mit gerade noch gefehlt. Kein Geld, die Frau hochschwanger und
dann noch unverschämt werden! Danach sollte er sie in den Stall
verweisen, wo sie zwischen den Tieren nächtigen sollten. Doch er
brachte kein Wort heraus. Frau Müller, seine Lehrerin, hatte das
Buch mit dem Text vor sich und formte mit ihren Lippen unhörbare
Worte. Die anderen Kinder zischten und flüsterten ihm den Text zu,
doch Jonas wollte nicht. Er spürte, dass hier etwas Entscheidendes
passierte.
Er spürte wie ihm sein
Herz bis zum Halse schlug. Doch er holte tief Luft und sagte laut
und deutlich: „Nein, ich werde euch nicht abweisen. Es kann nicht
sein, dass unser lieber Heiland in einem Stall zur Welt kommen muss.
Bitte nehmt mein Zimmer und mein Bett. Mein Weib und ich können uns
für eine Nacht behelfen. Ich will dafür sorgen, dass es euch an
nichts fehlt!“ Sprach’s, machte die Tür weit auf und umarmte dass
Paar.
Maria und Joseph waren
sichtlich perplex, ließen sich aber umarmen und standen schließlich
verwirrt da angesichts dieser außergewöhnlichen Entwicklung. Sie
schauten zu Frau Müller, die mit offenem Mund und kerzengerade
aufgerichtet auf ihrem Regieplatz saß. Die anderen Kinder auf der
Bühne waren ebenfalls sprachlos. Die verkleideten Ochsen, Esel und
Schafe kamen aus ihrem Stall, um Jonas mit Maria und Joseph zu
sehen. Die Engel, die Hirten und der Chor schlossen sich an. Alle
Besucher im Saal waren aufgestanden. Schließlich löste sich die
Spannung und Applaus kam auf, der sich schnell zu einer
ohrenbetäubenden Ovation mit Bravo-Rufen steigerte.
Die Schuldirektorin
betrat die Bühne und wartete, bis der Applaus abebbte. Sie meinte,
dass heute etwas ganz Besonderes geschehen sei. Jonas sei offenbar
so ergriffen gewesen, dass er die Bitte von Maria und Joseph nicht
abschlagen konnte. „Stimmt’s Jonas? Jonas antwortete, noch ganz
benommen von der Situation: „Ich konnte einfach nicht mehr nein
sagen, es tut mir leid.“
„Aber nein“, meinte
die Direktorin und strich Joans sanft über das Haar. „Das muss dir
nicht leid tun. Dein Beispiel sollte uns vielmehr zu denken geben,
dass auch heute Mitleid viel zu selten vorkommt und der Egoismus die
Oberhand behält. Nehmen wir uns Jonas zum Vorbild und hören wir mehr
auf unser Herz! Ich danke allen Mitwirkenden und wünsche Ihnen nun
Fröhliche Weihnachten und ein gutes neues Jahr!“
Lang anhaltender
Beifall folgte. Jonas wurde von einigen Vätern auf die Schultern
genommen und im Triumphzug von der Bühne getragen. Sein Vater
klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Seine Mutter umarmte und
küsste ihn.
Aber auch im Publikum
zeigte sich eine sonderbare Verwandlung. Fast alle Menschen gaben
sich spontan die Hand und wünschten sich gegenseitig fröhliche
Weihnachten. Manche umarmten sich sogar.
Am nächsten Tag waren
die Zeitungen voll von dieser denkwürdigen Herbergssuche. Viele
Pfarrer gingen auf dieses Ereignis in ihren Weihnachtspredigten ein
und appellierten für mehr Nächstenliebe unter den Menschen.
Jonas studierte
übrigens später Pädagogik und ging nach Afrika als
Entwicklungshelfer, wo er seine Bestimmung fand.
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