Seiten

Dienstag, 15. Oktober 2024

Finde die Kolumne von Susan Arndt sehr gut

  FOCUS:Privat | Jens Schlueter/Getty Images






Sahra Wagenknecht gibt sich als überzeugte Friedenspolitikerin. Doch unsere Gastautorin, die selbst den Kalten Krieg in der DDR erlebte, meint: Wagenknechts Rhetorik ist unglaubwürdig.

Über dem Bett meiner Oma hing ein Foto von Karli, ihrem Neffen. Als 18-jähriger Wehrmachtsoldat war er nur wenige Tage nach seiner Ankunft an der Ostfront gefallen. Immer, wenn meine Oma an diesem Foto vorbei ging, also mehrfach am Tag, seufzte sie tief und sagte, das Foto streichelnd: „Ach Karlichen.“ Als ich in der ersten Klasse war, fragte ich meine Oma, warum sie so um Karli trauere. „War der denn kein Nazi?“, fragte ich. „Er war kaum 18“, lautete die entrüstete Antwort meiner Oma.

Später erklärte sie mir, was sie wohl eigentlich in diesem Moment sagen wollte. „Wenn er desertiert wäre, wäre er auch gestorben.“ Ich denke, so hat sie auch das Fehlen ihres eigenen Widerstandes gegen den deutschen Nationalsozialismus gerechtfertigt. Auch in der SED-Diktatur lebte sie so unpolitisch und unauffällig wie möglich. Über den Kalten Krieg aber verlor sie fast täglich ein empörtes Wort. Oft seufzte sie den Wehrmachtssoldaten an: „Ach, Karlichen. Jetzt wollen uns auch die Kommunisten in den Krieg schicken.“



Ich hatte Angst vor dem Atomkrieg

So wie meine Oma hatte auch ich als Kind und junge Erwachsene große Angst vor dem Atomkrieg. Das kam nicht von ungefähr. Eine entsprechende Angstmache war Programm im SED-Staat. Die Militarisierung der Gesellschaft brauchte die Propaganda, die tagtäglich damit drohte, dass USA und Nato die Sowjetunion und die Länder des Warschauer Paktes angreifen werden – und die DDR dabei als direkt an den Westen grenzendes Land ganz besonders bedroht sei. Diese Propaganda wurde im Militärunterricht extensiv ausbuchstabiert. Minimalistisch fielen hingegen die Maßnahmen aus, mit der Schüler und Schülerinnen und die Zivilbevölkerung insgesamt versuchen sollten, zu überleben.

Einmal in der Woche, jeden Mittwoch um 13 Uhr, gab es einen Probealarm. Damit wir diesen von wirklichen Alarmsirenen unterscheiden können, wurden uns diese in der Schule ständig vorgespielt. Wir konnten genau zwischen einem vermeintlich anstehenden biologischen, chemischen oder atomaren Angriff des Westens unterscheiden.

Zudem wurde uns erklärt, was wir dann machen sollen: Das Radio anschalten, um Instruktionen zu erhalten, die Badewanne voller Wasser laufen lassen und diese mit Alufolie abdecken, damit wir „später“ Trinkwasser hätten und uns dann an eine Bordsteinkante legen – und zwar abgewandt von der Detonation, vom Atompilz etwa. Dass uns dabei vermittelt wurde, dass man den Ort, an dem die Bombe einschlagen werde, nicht antizipieren könne, machte das alles nur noch mehr zu Farce.

„Keiner will sterben, das ist doch klar, wozu sind denn dann Kriege da?“

Ich erinnere mich noch gut an eine nächtliche Atom-Krieg-Sirene, die mich in Panik versetzte, als ich ungefähr 11 Jahre alt war. Ich schaltete das Radio an, doch da schnarrte es nur (es war ja auch mitten in der Nacht). Ich rannte dann zu meinen Eltern, um ihnen zu sagen, dass wir jetzt schnell die Badewanne mit Wasser füllen und runter zur Bordsteinkante müssten. Doch sie sagten, dass ich wieder ins Bett gehen solle. Das hätte mich beruhigen können, hätte nicht pure Angst auch in den Gesichtern meiner Eltern gestanden. Inmitten dieser Angst wollte ich wenigstens glauben, dass wir „die Guten“ waren und ich, anders als der Karli meiner Oma, eines Heldentodes sterben würde.

Aber den Gefallen taten mir meine Eltern nicht. Am nächsten Morgen sagten sie, dass die Kommunisten sie noch umbringen würden mit diesen „Scheiß-Sirenen“.  Solche Vorfälle häuften sich. Meine Angst vor Krieg ließ mich Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da?“ (1981) feiern und an Pazifismus glauben. „Keiner will sterben, das ist doch klar, wozu sind denn dann Kriege da?“ Ich war zwar nicht mehr 10 Jahre alt, wie das Kind in seinem Lied, sondern 14 – aber die Frage, warum sich Menschen gegenseitig töten, obwohl sie einander gar nicht kennen, nur weil die Herrschenden sich über Religion streiten, schien mir evident.

Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben

Ich weiß nicht, ob Omas Neffe Karli als euphorischer Nationalsozialist oder aus Angst vor dem nationalsozialistischen Terror in seinen eigenen Tod gezogen ist. Ich weiß nicht, ob er mit oder ohne Überzeugung auf Menschen schoss, die er nicht kannte. Aber Strukturen sind immer nur so stark wie die Menschen, die ihnen dienen oder widersprechen. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir aus der Geschichte der Kriege lernen können, wie Frieden errungen und verteidigt werden kann, ohne Freiheit und Gerechtigkeit zu verraten.

Immerhin leben wir in einer Zeit, in der es weniger Kriege gibt als je zuvor. Nachdem der so genannte „Kalte Krieg“ in Afrika, Asien oder Südamerika von Mitgliedsstaaten von Nato oder dem Warschauer Pakt heiß gefochten wurde, konnte sich Europa als Kontinent des Friedens neu erfinden – was auch einschließt, sich einzumischen oder wegzuschauen – je nach globalpolitischer Sachlage. Pazifismus kann viele Formen annehmen. Das schließt für mich ein, den Terror-Anschlag der Hamas nicht als Widerstand misszuverstehen.

Zugleich darf mich die deutsche Verantwortung für die Sicherheit Israels, der ich mich verbunden fühle, nicht davon abhalten, dem UN-Urteil zu folgen, wonach Israels Annektierung palästinensischer Gebiete unrechtmäßig ist und der Ansicht des Internationalen Gerichtshofes, wonach Netanjahus einjähriger Krieg gegen die palästinensische Zivilbevölkerung ein Kriegsverbrechen ist. Auch wenn Frieden zwischen Israel und Palästina so utopisch scheint wie nie zuvor, wünsche ich mir bei jeder Sternschnuppe „Weltfrieden“. Vielleicht macht mich das zumindest mehr zu einer Pazifistin als Sarah Wagenknecht, die Pazifismus mit Füßen tritt. Statt sich schützend vor die Ukraine zu stellen, verharmlost und verherrlicht Wagenknecht Putins Kriegsaggression. Er will die Ukraine auslöschen und als Nächstes etwa Georgien kolonisieren.

Warum Wagenknechts Friedensdemos unglaubwürdig sind

Obwohl nicht mal  Wagenknecht als hundertprozentige Putin-Apologetin   Wagenknecht als hundertprozentige Putin-Apologetin eine Audienz beim Despoten bekommt, behauptet sie, an jeder realen Friedenslösungsoption vorbei, dass Diplomatie den Krieg beenden könne und der Westen Putin nur entsprechende Gesprächsangebote machen müsse.

Warum aber verlangt sie nicht wenigstens auch Putin solche diplomatischen Vorstöße ab?  Warum demonstriert ihr neues Bündnis „Nie wieder Krieg“ nicht vor dem Kreml oder wenigstens vor der russischen Botschaft?  Und warum nennt sie „Bündnis“, was nichts als eine autokratische One-Woman-Show ist. Zu ihrem putinistischen Alleinherrschaftsanspruchs passt, dass Wagenknecht jede einzelne Aufnahme einer neuen Person ins BSW selbst kontrolliert. Dass sie Menschen in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg populistisch vorgaukelt, dass das BSW aus den Landtagen heraus Bundes- und Globalpolitik betreiben könne, ist ebenso fragwürdig.

Frieden gibt es nicht ohne Freiheit oder Gerechtigkeit. Putin die halbe oder ganze Ukraine zu überlassen, ist das Gegenteil von Frieden. Und wer einem Kriegstreiber wie Putin durch Verharmlosung den Rücken stärkt, ist keine Pazifistin, sondern Kriegstreiberin. Genau in diesem Sinne stellten sich Ukrainer und Ukrainerinnen der heuchlerischen ge(wagen)knechteten Friedensdemo am 3. Oktober 2024 mit der Mahnung „Euer Frieden ist unser Tod“ entgegen.  Nationalismus und  Populismus, Macht und das Messen mit zweierlei Maß haben noch nie Wege gen Frieden ebnen können. Einfache Wahrheiten füttern die Propaganda, die Kriege heiligt. Einem solchen Populismus muss Frieden die Stirn bieten. Frieden kommt nicht einfach so als Friedenstaube herbeigeflattert. Frieden lernt aus der Geschichte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen