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Sonntag, 24. September 2023

Schmetterlinge im Faltenbauch

 





Als mein Mann starb, hatte ich schon den Blick auf die 70. Artrosis in der linken Hüfte und keine Lust mir neue männliche Pflegefälle anzulachen. Mein Umfeld  nagte an mir mit Fragen, ob ich nicht lieber zurück nach Deutschland wollte. Sooooo allein ist ja nicht gerade prickelnd. Dann die  ganze  Arbeit mit dem Haus und so. 

Malte mir aus  in  einem  Berliner Apartment mit 14 Katzen und drei Hunden zu leben. Schätze solch  ein Apartment gab es in  ganz Deutschland nicht. 

Warum sollte ich meinen Standort verändern? Die meisten meiner Freunde und viele Familienmitglieder befanden sich  im  Ausland oder waren tot. Sah schon das Gesicht meines 80ig jährigen Bruders, wenn ich  mit einem Zoo in schönem Sauerland ankäme. 

Ich  liebe und liebte mein Leben in Uruguay. Basta!

Man fand sich in meinem engsten Kreis damit ab, nicht ohne immer mal wieder eine Spitze abzulassen, Allein sein ist doof. Stimmt, aber man kennt es kaum anders. Ab einem bestimmten Alter waren und sind die Menschen ohne Partner. Da man als Rentner oder Witwer oft finanziell unabhängig ist, verschiebt sich einiges. Außerdem verschwanden Themen. Viele Frauen die ihr Leben als Hausfrau verbracht haben, steigen in  eine andere Welt. Meine Großmutter war eine aktive Frau, die das Leben mit der Familie genoss.  Meine Schwiegermutter bereiste die Welt. Eine Tante von mir wurde in sozialen Bereichen aktiv. Meine Mutter ging in ein Seniorenheim. Ein Onkel lebte allein in seinem Haus, nachdem seine Frau gestorben war. Er lebte so als würde sie noch leben. Ein anderer Verwandter stürzte sich mit 68 Jahren in die Weiberwelt. Warum sich mit Einer langweilen, wenn man sich mit Vielen vergnügen kann. Egal wohin die Richtung ging, man machte es alleine. Da ich schon immer selbstständig war, suchte ich meine Form für den Rest des Lebens. Primär der Wunsch, alles zu machen was man schon immer wollte. 
Fantastisches Ziel!

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Mir fehlte nichts....gar nichts. Ich durchlebte eine Zeit der Freiheit. Kaufte mir Schuhe soviel ich wollte, aß was ich wollte, zog mir Filme vom  Bett aus rein, drehte Musik auf maximum, das die Wände in  Schwung kamen.  Ein Leben nach meinen Wünschen. 
Die Begegnung mit einem Delfin war der absolute Höhepunkt meines Lebens. Auf der Reise in die Karibik bin ich einigen begegnet aber ein Delfin hat mich im Innersten getroffen. Es war eine Therapie mit Autistischen Kindern. Aber auch für alle, die mal persönlichen Kontakt mit diesen  Meeresbewohnern haben wollen, konnten dran teil haben. Ich wollte. Es war aufregend, wie diese Tiere mit den Kindern umgingen. Ich sah mir alles an und bemerkte einen Blick. Ein Delfin sah mich von der Seite mit einem Auge an. Es traf mich ins Innerste. Ich hatte Schmetterlinge im  Bauch. Pfleger winkten mir zu, ich  sollte ins Meer kommen. Der Fisch näherte sich mir und  berührte mich. Es war wunderbar. Seine Haut war weich. Einer der Pfleger signalisierte mir zuzuschauen was er macht. Er schwamm zu einer Boje, der Delfin schwamm hinter ihm und schob den Mann an den Füßen mit großer Geschwindigkeit zu einer schwimmenden Metallinsel. Faszinierend. Ich peilte die Boje an und spürte den Delfin. Er stupste mich am linken Fuß an und mir fiel siedeheiß ein, das erst vor ein paar Monaten eine Prothese in der linken Hüfte implantiert wurde. Der Pfleger signalisierte das ich meinen Körper steif halten sollte. Aber der Delphin schwamm um mich herum und rutschte an meinen linken Bein entlang. Dann setzte er seinen  Kopf an mein  rechtes Bein und drückte mich  in  Richtung der Insel. Ich flog! Wahnsinn! Der Fisch blieb bei mir. Die Schmetterlinge tobten in meinem Bauch. Da war ein Wesen von hoher Intelligenz. Er wusste welches Bein  er nehmen konnte.  Respekt. Aber noch mehr...Emotionen. Glück.








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Erst die Pandemie lehrte mich das Umdenken. Nachdem eine Freundin sogar die Schuhe vor dem Haus auszog, trotz Mundschutz auf Sonderdistanz ging und von meinem Alter was brabbelte, sah ich sicher echt alt aus. Selbst als ich sie erinnerte das wir nur 4 Jahre auseinander waren, vergaloppierte sie sich im Schutzprogramm für Senioren. Schätze, sie stand unter Schock. 
Aber Fakt war, dass ich von  Heute auf Morgen sehr alleine in meinem  Haus war. Nicht mal ein  Nachbar steckte die Nase in meine Haustür. Essen, das ich per Internet bestellte, wurde von einen Mitarbeiter vor die Tür gestellt, geklingelt, zurückgegangen, ich vorgegangen um die Kiste rein zu ziehen und dann eine Ulk Vorstellung für die Nachbarschaft zu meistern, wie bezahlt man auf drei Meter Distanz. Vorgehen, Geld auf einen Stein legen, zurückgehen. Lieferknabe, vorgehen, Geld nehmen, Wechselgeld hinlegen, zurückgehen. Der Rest ist für sie, schreien und sich fest vornehmen wieder selber einkaufen zu gehen.

Allein die Nummer mit dem Mundschutz. Durch welcher kann man noch atmen und hat gleichzeitig noch Schutz? Fing an im Haus damit rum zu laufen. Jeden Tag etwas länger um mich daran zu gewöhnen. Es fehlte auf einmal der Partner, mit dem man eine neue Situation besprechen konnte. Denn gut gemeinte Ratschläge von Außen, halfen nicht wirklich. Ein einfaches in den Arm nehmen, fehlte total. Nun fühlte ich mich einsam. Hatte Sehnsucht nach dem Delfin. Sehnsucht nach Schmetterlingen im Bauch.

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Meine Schwiegermutter berichtete mir, das die Alten in den Seniorenheimen wie die Fliegen starben. Demnächst gäbe es sicher Zimmer mit Rabatt. Statt 5946 nur noch 5829 Euro. Immerhin war sie da 103 Jahre alt und lachte sich einen ab. Sie starb ein Jahr später aber nicht an der Pandemie. Sie war für mich ein Beispiel, wie man mit dem letzten Teil des Lebens umgehen kann. Denn alle die in diese Phase eintreten, haben nicht nur das Glück es zu erleben, sondern auch ihre Zukunft selber eine Richtung zu geben. Ungeachtet der Leute,  wie SIE es  gerne sehen würden. Wenn jemand in ein Heim  möchte, soll er es machen. Egal was die  Kinder davon halten. Jeder sollte sich wohl fühlen. 
Krankheiten müssen in allen Altersgruppen behandelt werden. Ein großes Thema,  WAS IST WENN? Da gibt es viele Antworten. Man kann nicht immer davon ausgehen, das jemand in der Familie sich darum kümmern kann oder gar muss. Mit dem Rentenalter gebe ich ja nicht meine grauen  Zellen ab. Das erste was wir in Uy angingen war die Krankenversicherung und Emergencia. Läuft hier  anders als in  Deutschland aber auch hier gibt es Pfleger und Fachpersonal auf allen Gebieten, die ins Haus kommen. Selbst dafür gibt es eine Versicherung. Die sitzen  dann auch rund um die Uhr in drei Schichten an deinem Bett im Hospital und übernehmen jede Hilfe. Hier machen das normalerweise Familienangehörige. Aber immer mehr Menschen leben alleine oder die Familie arbeitet woanders. Es ist sicher schöner mit lieben Menschen den letzten Schritt zu machen aber man kann nicht immer davon ausgehen oder es gar verlangen. 

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Ich  schaffte mir einen Golden Retriever an. Ein Baby! Da waren sie wieder die Schmetterlinge. Meine  Hündin Floh war  mit 17 Jahren kurz vorher gestorben. In meinen Armen. Viele Jahre Erinnerungen zogen an mir vorbei. Meine Tiere hatten einen wichtigen Teil übernommen. Zuwendung, Liebe, Geborgenheit. Mit Baby Chili wurde das Leben noch bunter. Es gab kein Tag wo sie nicht etwas anstellte. Alles was nicht schnell genug auf dem Baum kam, landete zwischen  Milchzähne. Nichts...aber auch gar nichts war vor ihr sicher. Mit Kissen spielte sie Frau Holle, meinen Wohlfühlschuhen gab sie den letzten Biss,  der Garten wurde umgestaltet und alles mit einer Fröhlichkeit. Der Schwanz wedelte mit dem Hund oder umgekehrt, konnte es oft nicht erkennen. Dieser Frechdachs brachte mich immer zum  Lachen. Sie konnte mit Allen. Ein Energiebündel.

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Saß mit einer Freundin zusammen und diese war mal wieder auf dem Tripp, dass ich mir außer Vierbeiner auch mal einen Zweibeiner anschaffen sollte. Sehr witzig.....Aber wer will schon einen Zoo? Wie wärs mit einem Tierarzt...ha,ha,ha. Ich schob den Gedanken ganz weit weg. Irgendwie krabbelte der immer wieder ans Tageslicht. Und um so mehr ich mich dagegen  wehrte um so intensiver wurden meine Gedanken in diese Richtung gelenkt. Und das Wunder passierte! Da war der Moment. Ich hörte ihn sagen: "Ich komme wieder!" Und ich hatte einen Schwarm von Schmetterlingen in meinem Faltenbauch.

7

Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wie das mit Gefühlen ist im  Wandel der Jahre. Großeltern und Eltern, Tanten und Onkels waren geschlechtslos. Alle Erwachsenen waren das aus der Perspektive einer  Heranwachsenden. Verliebt sein, Schmetterlinge im  Bauch, gehörten zur Jugend. Ich schmachtete die Beatles an und meine Mutter behandelte mich  wie eine Idiotin. Ich schwärmte für einen  Nachbarjungen und meine Mutter gab mir eine Ohrfeige. Aber das Gefühl von  Schmetterlingen im knackigen Bauch war toll. Kam nicht mal auf die Idee, das meine Mutter jemals  dieses Gefühl gehabt haben könnte. Bei meiner Eheschließung wünschten alle Glück, das es zur tiefen Liebe wächst. Na ja, hatte erst mal fiel zu tun um mich in die Rolle einer Ehefrau und dann Mutter einzuleben. Es rutschte schnell in eine Form der Routine. Irgendwie waren die Schmetterlinge weg.

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Als mein Mann starb, starb das WIR! Wir hatten eine gute Zeit. Ich stürzte mich in  Alles um nicht  in der Vergangenheit hängen zu bleiben. Schätze, da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Hatte die verrücktesten Ideen, setzte auch viele um. Nur nie den Gedanken noch mal eine Verbindung einzugehen. Nur wenn ich  ältere Paare Hand in Hand sah, verspürte ich eine Sehnsucht. Ich bin selten mit meinem Mann Hand in Hand gegangen. Die Uruguayer sind immer auf Körperkontakt. Hola, Küsschen, dabei Rücken streichen, Kinder knuddeln, sich einfach umarmen und dabei  Ganzkörpersprache zelebrieren. Faszinierend. Das Verhalten hat kein Alter. Das Mädchen verhält sich  wie die Mutter und die Mutter wie die Großmutter. Sie zeigen Gefühle. Egal in  welche  Richtung. Es ist schön zu sehen wie Paare, Familien, Gruppen den Abend am  Strand genießen. Da strahlt nicht nur die Sonne. 

9
Es kam total überraschend. An einem  Punkt, wo ich den Versuch abgeschlossen hatte, es noch mal zu versuchen. Schmiedete Reisepläne. Diesmal an Orte die ich in Europa verpasst hatte. War nie in Rom, habe nie griechisches Inselhüpfen erlebt u.s.w. Genau in der Phase kam er wieder. Nahm meine Hand und ging mit mir zum Strand. Ohne viele Worte. Da waren sie wieder die Schmetterlinge. Ein Zauber begann. Nichts unterschied sich von den Gefühlen als ich  jung war. Aber ich fühlte mich jung. Als wir aufstanden mussten wir erstmal unsere Knochen in Gang bringen. Alberten rum und hätten die Welt umarmen können. 

Das ist nun über ein Jahr her und wir haben noch immer die Schmetterlinge im Bauch. Man kann sich in jedem Alter verlieben. Eine wunderbare Erfahrung. Wir genießen jede Sekunde. Frei von Verpflichtungen und Zukunftsplänen. Wir leben hier und jetzt. 

Liebe kennt kein Alter. Und auch Schmetterlinge der Gefühle haben kein Verfallsdatum.



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