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Freitag, 8. März 2019

US-mexikanische Grenze: Gegen diesen Notstand hilft keine Mauer

Carsten Luther,ZEIT ONLINE  Über Mexiko kommen so viele Menschen illegal in die USA wie lange nicht. Die Behörden sprechen von einer Krise. Aber es ist nicht der Notstand, den Donald Trump sieht.

 Provisorisches Auffangzentrum für Migranten im texanischen Tornillo © Joe Raedle/Getty Images

Es wirkt, als würden die jüngsten Zahlen Donald Trump recht geben: Die US-Grenzschutzbehörde meldet einen drastischen Anstieg illegaler Einreisen aus Mexiko und spricht von einer humanitären Krise und einer Krise der nationalen Sicherheit. Mehr als 76.000 Migrantinnen und Migranten wurden allein im Februar aufgegriffen, doppelt so viele wie ein Jahr zuvor, so viele wie in keinem Monat seit Oktober 2013. Also scheinbar genau das, wovor der US-Präsident schon lange warnt: Wir werden überrannt. Und Trumps Antwort auf die vermeintliche Gefahr ist eine Mauer, deren Finanzierung ihm der Kongress politisch verwehrt und deren Bau er nach einer fruchtlosen Haushaltsblockade inzwischen per Notstandserklärung durchsetzen will. 

Nur: Was an der Grenze zu Mexiko passiert, ist nicht die Art Problem, das sich einfach aussperren lässt. Es ist ein wenig wie 2015 in Deutschland: eher eine Behördenkrise als eine bösartige Invasion.
Zur Einordnung der Zahlen hilft zuerst eine Perspektive, die über die vergangenen Monate hinausgeht. Langfristig gesehen sind die illegalen Grenzübertritte immer noch auf einem eher niedrigen Niveau. Wie viele Menschen wirklich illegal einreisen, lässt sich kaum sicher sagen. Experten gehen aber davon aus, dass etwa die Hälfte in Gewahrsam genommen wird, und deren Zahl wird zumindest erfasst.
Jährlich kommen seit einigen Jahren grob 400.000 bis 500.000 Migranten illegal zwischen den Grenzübergängen in die USA und werden festgenommen. Für das Haushaltsjahr 2017 weist die offizielle Statistik 303.916 Festnahmen aus, im Haushaltsjahr 2018 (bis September) stieg die Zahl auf 396.579. Im Rekordjahr 2000 wurden mehr als 1,6 Millionen Menschen festgenommen, nachdem sie illegal über die Grenze gekommen waren, 2005 waren es noch fast 1,2 Millionen.
Interessant ist auch das durchschnittliche monatliche Aufkommen unter verschiedenen Präsidenten, wie es die New York Times für ihre aktuelle Berichterstattung ausgerechnet hat: Demnach wurden unter George W. Bush im Schnitt 81.588 Migrantinnen und Migranten monatlich aufgegriffen, unter Barack Obama monatlich 34.647 und unter Trump 32.012. Den kurzfristigen Anstieg der Festnahmen seit Trumps Amtsantritt schreiben viele Beobachter dabei auch der Null-Toleranz-Politik seiner Regierung zu. 


Um die heutige Lage an der Grenze zu verstehen, ist aber nicht nur die Zahl der Ankommenden wichtig. Es geht auch darum, wer die Menschen sind und aus welchen Gründen sie den Weg der illegalen Einreise gehen. In den Neunziger- und Nullerjahren waren es überwiegend mexikanische Männer, die ohne Papiere in die USA kamen, um dort zu arbeiten und so ihre Familien zu Hause zu unterstützen. Wurden sie festgenommen, wurden sie in der Regel nach einem kurzen Aufenthalt abgeschoben. Inzwischen kommen weniger Mexikaner, oft sind es die Familien, die den Männern nachfolgen, aber viele gehen auch wieder zurück. 


Flucht vor Armut und Gewalt

Ein großer Teil der illegal Einreisenden kommt inzwischen aus mittelamerikanischen Ländern, etwa Guatemala, El Salvador oder Honduras. Sie fliehen vor Gewalt und Armut in ihrer Heimat und machen sich meist im Familienverbund auf den Weg. Im aktuellen Haushaltsjahr seit Oktober nahmen die Grenzbehörden bereits 136.150 Familienmitglieder fest, deren Gruppe mindestens aus einem Elternteil und einem Kind bestand, im gesamten vorigen Haushaltsjahr 107.212. Fünf Jahre früher waren es noch 14.800. Der aktuelle Trend hat schon unter Obama begonnen.
Entscheidend ist ein Unterschied zur früheren Arbeitsmigration aus Mexiko: Die Menschen, die heute ankommen, selbst wenn sie zwischen den Grenzübergängen ins Land gelangen, stellen sich in aller Regel freiwillig den Grenzschützern – ihr Ziel ist Asyl, die Anerkennungsquote lag in den vergangenen Jahren allerdings bei weniger als 20 Prozent. Problematisch ist auch die große Zahl Minderjähriger ohne Begleitung aus Mittelamerika. Die Gesetzeslage verhindert ihre schnelle Abschiebung und begrenzt, wie lange Kinder und Familien festgehalten werden dürfen. Zumindest die vielfach kritisierte Praxis der Trump-Regierung, Kinder von ihren Begleitern zu trennen, wurde aber inzwischen eingestellt.
Generell gibt es zu wenige Unterkünfte, insbesondere für Kinder und Familien geeignete Auffangeinrichtungen. Mängel in der Betreuung und Versorgung wurden auch deutlich, als im Dezember zwei Kinder und im Februar ein 45-jähriger Mexikaner im Gewahrsam der Behörden starben. Die Überfüllung der Einrichtungen führt zusammen mit den Beschränkungen für Familien und Minderjährige außerdem dazu, dass viele der Asylsuchenden aus der Obhut der Behörden entlassen werden, während ihr Verfahren noch läuft. Erst wenn ihre Anträge abgelehnt werden, können sie abgeschoben werden – doch viele melden sich nicht mehr zurück, um dennoch im Land bleiben zu können. Die US-Behörden sind deshalb teilweise dazu übergegangen, Asylsuchende zurück nach Mexiko zu schicken, wo sie auf die Entscheidung warten sollen.

Ein System "an der Grenze der Belastbarkeit"

Die Grenzschutzbehörde räumte die Überforderung aus Anlass der aktuellen Zahlen durchaus ein, das System sei "an der Grenze der Belastbarkeit". Eine bessere medizinische Versorgung ist Teil ihrer Bemühungen, der Realität der Migration an der Grenze zu Mexiko gerecht zu werden. In der Grenzstadt El Paso soll ein neues Zentrum die Bedürfnisse von Familien und Kindern angemessen berücksichtigen. Von zusätzlich benötigten "humanitären Ressourcen" ist die Rede, von der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, die Migranten bei allen nötigen Prozessen begleiten, von mehr Übersetzern – "temporäre Lösungen", die akut eine Hilfe seien, aber eben nicht nachhaltig, hieß es von der Behörde. 

Einen Notstand an der mexikanischen Grenze gibt es also in der Tat. Nur dürfte eben der Bau einer Mauer weiterhin nicht die eiligste erforderliche Maßnahme sein, selbst wenn ein paar zusätzliche Befestigungen hier und da vielleicht sogar sinnvoll wären – gegen einen noch einmal verbesserten Grenzschutz gibt es im Grunde parteiübergreifend kaum Widerspruch. Und dass die Lage im Südwesten einer Krise gleichkommt, ist nicht zu leugnen. Sie erfordert schnelles Handeln. Aber Trump sieht in der jüngeren Entwicklung nur ein schlagkräftiges Argument für seinen Mauerplan – die symbolische Bedeutung des Projekts für seine Basis scheint ihm wichtiger als die Menschen hinter der Statistik.

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