Es war ein Auftritt, von dem in Kuba kaum jemand Notiz nahm. Am 3. Dezember diskutierte Miguel Díaz-Canel in der juristischen Fakultät der Universität von Havanna mit Studenten und Dozenten über die Lage der Insel. Dabei nutzte der Präsident, damals gerade acht Monate im Amt, den geschlossenen Kreis für etwas in Kuba ganz und gar Ungewöhnliches.
Mit deutlichen Worten kritisierte er die Restriktionen für Kleingewerbetreibende, die einige Monate vorher von seiner eigenen Partei und Regierung erlassen worden waren: Es sollte nur noch eine Lizenz pro „Cuentapropista“, pro Selbständigem, geben, womit plötzlich zum Beispiel Buchläden mit angeschlossenem Café illegal waren.
Zudem sollten die beliebten privaten Restaurants, „Paladar“ genannt, nur noch maximal 50 Plätze haben dürfen. Außerdem, so war der Plan, sollten die Kleinstunternehmer künftig 85 Prozent ihrer Einkünfte bei der Bank einzahlen, damit dem Fiskus keine Einnahmen entgehen. All das, so kritisierte Díaz-Canel bei seinem Auftritt in der Uni, habe weder Hand noch Fuß.
Zwei Tage später dann folgte die offizielle Rücknahme der Restriktionen durch Arbeitsministerin Margarita González Fernández. Alles bleibt wie es ist: mehrere Lizenzen pro „Cuentapropista“, mehr als 50 Sitze in den „Paladares“. Und nur 65 Prozent der Einkünfte müssen bei der Bank eingezahlt werden. „Díaz-Canel hat auf die Kritik gehört und korrigiert, was Unsinn war“, sagt ein Restaurantbetreiber.
Der Widerruf der unpopulären Entscheidung ist ungewöhnlich, weil sich Partei und Staat in Kuba in ihren Direktiven bisher selten um die Klagen der Bevölkerung geschert haben. Doch die Volte des Präsidenten könnte Beleg für ein neues, weniger rigides Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung sein.
Dezente Hinweise darauf gibt es auch in der neuen Verfassung, über welche die Bevölkerung am Sonntag in einem Referendum entscheiden muss. Der letzte kommunistische Vorposten der westlichen Welt wird mit dem neuen Grundgesetz ein klein wenig demokratischer und moderner, öffnet sich ein Stück weiter der Eigeninitiative, den Auslandsinvestitionen und dem Privateigentum und führt Elemente der Gewaltenteilung ein.
So wird die Amtszeit des Präsidenten auf zehn Jahre beschränkt, das Amt des Ministerpräsidenten wird wieder geschaffen. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird in der Verfassung festgeschrieben und ein ständiger Wahlrat geschaffen. Aber die ursprüngliche Idee einer Volkswahl des Präsidenten wurde verworfen. Auch die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften bleibt außen vor.
Kuba werde mit der neuen Verfassung keineswegs ein modernes und
kapitalistisches Land, sagte der Ökonom und Universitätsprofessor Pavel
Vidal dem Handelsblatt. „Es ist kein tiefgreifender Wandel zu einem
anderen System.“ In gewisser Weise werde die Verfassung nur an die
bereits seit Jahren bestehende Realität angepasst, betont Vidal.
So blieben beispielsweise die bei Investoren besonders unbeliebten staatlichen Arbeitsagenturen bestehen, über die ausländische Firmen ihre Mitarbeiter vom Staat zugewiesen bekommen. „Es ist klar, dass diese Verfassung die vor Jahren begonnenen Wirtschaftsreformen nicht in eine neue, tiefere Phase führt“, betont der Kubaner Vidal, der an der Javeriana-Universität im kolumbianischen Cali lehrt.
Vielmehr bleibe für „Familien, Staatsbetriebe, Privatunternehmer und ausländische Investoren eine Unsicherheit über die neuen Möglichkeiten und möglichen Risiken“. Zudem bleibt das Primat der Kommunistischen Partei. Seit Wochen trommeln die Machthaber für ein „Ja“ zum Referendum, denn sie fürchten zu viele Nein-Stimmen oder Enthaltungen.
Präsident Díaz-Canel wirbt über Twitter für Zustimmung. Kuba werde mit der neuen Verfassung „ein besseres Land“. Aber Oppositionelle aller Schattierungen machen ebenfalls in den sozialen Netzwerken Stimmung gegen die neue Verfassung.
Unter dem Hashtag #Yonovoto (Ich stimme nicht ab) kritisieren politische Dissidenten die fehlende politische Öffnung, Journalisten die mangelnde Pressefreiheit, Jugendorganisationen sowie feministische und LGBTI-Gruppen die restriktive Familienpolitik. Dabei machen sie sich zunutze, dass Kuba seit Dezember den freien Internetzugang über Mobiltelefone flächendeckend möglich macht.
Allerdings blockiert die staatliche Telefongesellschaft Etecsa, ganz in alter Tradition, jede SMS, in der das Wort #Yonovoto vorkommt. Dass Kuba mit der neuen Verfassung die großen Herausforderungen meistern kann, die am Horizont aufziehen, ist eher unwahrscheinlich. Das Verhältnis zu den USA hat sich seit dem Amtsantritt von Donald Trump wieder deutlich verschlechtert.
Die von Vorgänger Barack Obama betriebene Annäherung ist begraben. Für Trumps Sicherheitsberater John Bolton gehört Kuba neben Venezuela und Nicaragua vielmehr zur „Troika der Tyrannei“. Kubas großer Bruder Venezuela schrumpft derweil immer mehr zu einem unbequemen Verwandten. Das einstmals riesige Handelsvolumen zwischen beiden Staaten macht inzwischen nur noch zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts Kubas aus.
Bei einem möglichen Ende der Regierung von Nicolás Maduro in Caracas würde Havanna die Hilfe aus Venezuela vermutlich ganz verlieren. Auch weil Maduro die kubanischen Freunde schon 2018 nicht mehr wie früher mit Öl und anderen Gütern versorgen konnte, wuchs die Insel-Wirtschaft nur um 1,2 Prozent. Für dieses Jahr prognostiziert die Regierung 1,5 Prozent.
„2019 ist ein Jahr mit komplexen Herausforderungen für Präsident Díaz-Canel“, sagt der Experte Vidal. „Er muss eine fast stagnierende Wirtschaft, die Knappheit von Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung, hohe Schulden und das mögliche Wegbrechen der internationalen Helfer austarieren.“
Umso wichtiger ist es da, dass er die Kleingewerbetreibenden bei Laune hält und sie nicht mit noch mehr bürokratischen Hürden traktiert. Die „Cuentapropistas“ tragen die Volkswirtschaft der klammen Karibikinsel zwar nicht allein, aber sie sind doch für das Funktionieren wesentlicher Sektoren wie der Landwirtschaft, den Tourismus oder den Nahverkehr unerlässlich.
So blieben beispielsweise die bei Investoren besonders unbeliebten staatlichen Arbeitsagenturen bestehen, über die ausländische Firmen ihre Mitarbeiter vom Staat zugewiesen bekommen. „Es ist klar, dass diese Verfassung die vor Jahren begonnenen Wirtschaftsreformen nicht in eine neue, tiefere Phase führt“, betont der Kubaner Vidal, der an der Javeriana-Universität im kolumbianischen Cali lehrt.
Vielmehr bleibe für „Familien, Staatsbetriebe, Privatunternehmer und ausländische Investoren eine Unsicherheit über die neuen Möglichkeiten und möglichen Risiken“. Zudem bleibt das Primat der Kommunistischen Partei. Seit Wochen trommeln die Machthaber für ein „Ja“ zum Referendum, denn sie fürchten zu viele Nein-Stimmen oder Enthaltungen.
Präsident Díaz-Canel wirbt über Twitter für Zustimmung. Kuba werde mit der neuen Verfassung „ein besseres Land“. Aber Oppositionelle aller Schattierungen machen ebenfalls in den sozialen Netzwerken Stimmung gegen die neue Verfassung.
Unter dem Hashtag #Yonovoto (Ich stimme nicht ab) kritisieren politische Dissidenten die fehlende politische Öffnung, Journalisten die mangelnde Pressefreiheit, Jugendorganisationen sowie feministische und LGBTI-Gruppen die restriktive Familienpolitik. Dabei machen sie sich zunutze, dass Kuba seit Dezember den freien Internetzugang über Mobiltelefone flächendeckend möglich macht.
Allerdings blockiert die staatliche Telefongesellschaft Etecsa, ganz in alter Tradition, jede SMS, in der das Wort #Yonovoto vorkommt. Dass Kuba mit der neuen Verfassung die großen Herausforderungen meistern kann, die am Horizont aufziehen, ist eher unwahrscheinlich. Das Verhältnis zu den USA hat sich seit dem Amtsantritt von Donald Trump wieder deutlich verschlechtert.
Die von Vorgänger Barack Obama betriebene Annäherung ist begraben. Für Trumps Sicherheitsberater John Bolton gehört Kuba neben Venezuela und Nicaragua vielmehr zur „Troika der Tyrannei“. Kubas großer Bruder Venezuela schrumpft derweil immer mehr zu einem unbequemen Verwandten. Das einstmals riesige Handelsvolumen zwischen beiden Staaten macht inzwischen nur noch zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts Kubas aus.
Bei einem möglichen Ende der Regierung von Nicolás Maduro in Caracas würde Havanna die Hilfe aus Venezuela vermutlich ganz verlieren. Auch weil Maduro die kubanischen Freunde schon 2018 nicht mehr wie früher mit Öl und anderen Gütern versorgen konnte, wuchs die Insel-Wirtschaft nur um 1,2 Prozent. Für dieses Jahr prognostiziert die Regierung 1,5 Prozent.
„2019 ist ein Jahr mit komplexen Herausforderungen für Präsident Díaz-Canel“, sagt der Experte Vidal. „Er muss eine fast stagnierende Wirtschaft, die Knappheit von Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung, hohe Schulden und das mögliche Wegbrechen der internationalen Helfer austarieren.“
Umso wichtiger ist es da, dass er die Kleingewerbetreibenden bei Laune hält und sie nicht mit noch mehr bürokratischen Hürden traktiert. Die „Cuentapropistas“ tragen die Volkswirtschaft der klammen Karibikinsel zwar nicht allein, aber sie sind doch für das Funktionieren wesentlicher Sektoren wie der Landwirtschaft, den Tourismus oder den Nahverkehr unerlässlich.
Hunderttausende
„Cuentapropistas“ bieten private Unterkünfte, führen Restaurants, fahren
Taxi, bauen Gemüse an, verkaufen Souvenirs oder haben sich als
Uhrmacher selbständig gemacht. Seit der damalige Präsident Raúl Castro
2010 erstmals vorsichtig die Wirtschaft für diese „Ich-AGs“ öffnete, hat
sich ihre Zahl von 157.000 auf 589.000 erhöht, dies entspricht 13
Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung.
Nimmt man noch den Sektor der Kooperativen dazu, arbeiten
mittlerweile rund 30 Prozent der Kubaner nicht mehr für den Staat,
sondern auf eigene Rechnung.
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