Nicolas Maduro wird heute zum zweiten Mal zum Präsidenten Venezuelas
vereidigt. Er preist sich und sein Land in den höchsten Tönen. Doch die
Realität sieht ganz anders aus, wie ein Blick nach Venezuela zeigt.

Quelle: AFP
Es
muss zwei unterschiedliche Venezuelas geben, mindestens. Anders sind
die Auslassungen von Nicolás Maduro nicht zu erklären. In Maduros Welt
ist Venezuela ein prosperierendes Land, in dem die Menschen frei und
glücklich sind, ganz anders als im Kapitalismus. In einem Gastbeitrag
für die spanische Zeitung El País beteuert er: „In Venezuela ist
Demokratie für die Vielen da, und gerecht ist, was gut für alle Menschen
ist.“
Maduro
ist der Präsident Venezuelas, jenes Landes, das einstmals für seinen
Ölreichtum bekannt war, heute aber nur noch für Hyperinflation,
Massenauswanderung und Wirtschaftskollaps. Seine warmen Worte schrieb
Maduro im Mai 2018 im Vorfeld der Präsidentenwahl, die er wenig später
mit 68 Prozent der Stimmen für sich entschied, 47 Prozentpunkte mehr als
sein Konkurrent, ein Rekord.
Auch
bei dieser Wahl muss es wieder zwei Venezuelas gegeben haben. In dem
einen lobte Maduro den „sauberen und vorbildlichen Prozess“ der Wahl, in
dessen Folge er nun den Willen des Volkes erfülle. Im anderen Venezuela
sprechen Kritiker und Beobachter von Unregelmäßigkeiten, ja Wahlbetrug.
Am
heutigen Donnerstag wird Maduro für seine zweite Amtszeit vereidigt.
Doch während 2013 bei seiner ersten Vereidigung noch Staatsgäste aus der
ganzen Welt angereist waren, halten heute sogar die anderen
lateinamerikanischen Staaten auffällige Distanz. Erst vorige Woche
erklärte die sogenannte Lima-Gruppe, die 13 amerikanische Länder
vereinigt, dass sie eine neue Präsidentschaft Maduros nicht anerkennen
werde. Die USA wiederum haben neue Sanktionen verhängt.
Auch
aus seinem eigenen Land schlägt Maduro Gegenwind entgegen, erst in Form
von Demonstrationen, dann in Form einer für sein Lager desaströsen
Parlamentswahl 2015. In der Folge zog Maduro die Zügel an, mit
paramilitärischen Truppen und einer de facto Entmachtung des Parlaments.
Das
sicherte ihm das Amt, aber es zerstörte sein Land und trieb bis heute
geschätzte drei Millionen Menschen ins Exil. Damit hat jeder zehnte
Venezolaner das Land verlassen.
Wer
es über die Grenze geschafft hat, bleibt meist in den Nachbarstaaten,
auch deshalb, weil für viele der Weg über die Grenze die mageren
Ersparnisse bereits aufgezehrt hat. Oder besser gesagt, das, was die
Hyperinflation von über einer Million Prozent im vorigen Jahr von ihrem
Ersparten übriggelassen hat. Umfragen zufolge würde mindestens die
Hälfte der verbliebenen Venezolaner den Auswanderern gerne über die
Grenze folgen.
Wer
es nicht schafft, lebt in einem Land, das für die meisten im Ausland
heute einer Blackbox gleicht. Dabei mag in Venezuela vieles zum Erliegen
gekommen sein, das Internet funktioniert zumindest in den Städten immer
noch. Und so halten die Daheimgebliebenen Tag für Tag, Stunde für
Stunde Kontakt über Soziale Medien, fast so, als wäre alles normal.
So
auch Wilhelm Glass, der in Venezuela geboren wurde und in beiden
Ländern gelebt hat, bis er sich schließlich im Zuge der Familiengründung
in Deutschland niederließ. Seine Familie aber lebt immer noch in
Venezuela.
Die
Lage dort sei zu desolat, um sie in wenigen Sätzen beschreiben zu
können, sagt Glass. Folgt man seiner Erzählung, ist das normale Leben in
Venezuela weitgehend zum Erliegen gekommen. Fast alle Venezolaner
verbringen ihre Morgen demnach damit Schlange zu stehen, sei es vor
Supermärkten, Bäckern oder Bankfilialen. „Dabei geht es schon lange
nicht mehr darum, das zu kaufen, was man gerne haben möchte und braucht,
sagt Glass, „sondern darum, etwas von dem zu bekommen, was gerade
vorrätig ist.“ In der Folge habe sich ein reger Tauschhandel entwickelt.
Auch
Strom wird knapp, ebenso wie Gas und Benzin – und das ausgerechnet beim
einstigen Ölförderchampion Venezuela, der dank seiner Ölexporte lange
als das reichste Land Lateinamerikas galt. Heute müsse man dagegen oft
tagelang an einer Tankstelle warten, bevor man nur eine Tankfüllung
bekomme, berichtet Glass.
Selbst
das Bargeld selbst wird zur Mangelware. Wegen der extremen Inflation
werden für jeden Kauf stapelweise Scheine gebraucht. Dass Maduro vorigen
Sommer fünf Nullen streichen ließ, ist durch die starke Inflation
bereits wieder weitestgehend verpufft. An den EC-Automaten stehen jedoch
nur begrenzte Summen zur Verfügung, so sie denn überhaupt
funktionieren. Und viele Geschäfte haben keine Karten-Terminals. In der
Folge blüht auch hier wieder der Tauschhandel.
Der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung bleibt nicht ohne Folgen
Selbst
für Angehörige der oberen Mittelschicht wird Hunger zu einem
ernsthaften Problem. So berichtet Glass von einer befreundeten
Stationsärztin, die ihre Kinder nicht mehr zur Schule schickt. Obwohl
sie für venezolanische Verhältnisse gut verdient, kann sie sich nicht
beides leisten, Nahrungsmittel und Schulutensilien. Andere Bekannte
hätten ihre Nahrungszufuhr auf eine Mahlzeit pro Tag beschränkt, um über
die Runden zu kommen.
Wer
nicht zuvorderst vom Tauschhandel leben kann, ist auf Unterstützung von
Freunden und Bekannten aus dem Ausland angewiesen. Der Vorteil: Deren
Zuwendungen kommen meist in Dollar, gerne auf ausländische Konten – und
sind damit nicht der Hyperinflation unterworfen.
Auch
der Staat benötigt dringend Devisen. Wegen der eingebrochenen Ölpreise
und der Misswirtschaft nimmt er jedoch kaum noch welche ein – mit
desaströsen Folgen. Venezuela muss viele Güter importieren,
Nahrungsmittel etwa oder Haushaltsartikel, aber auch Medikamente. Ohne
Devisen sind diese Lieferungen weitestgehend zusammengebrochen – und mit
ihnen neben der Nahrungsmittel- auch die medizinische Versorgung im
Land. Berichten zufolge ist die Zahl der Teenagerschwangerschaften sowie
die von Erkrankungen wie HIV in den vergangenen Monaten exponentiell
angestiegen.
Der
Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung bleibt nicht ohne Folgen.
Caracas ist einer mexikanischen Untersuchung zufolge der
zweitgefährlichste Ort der Welt, direkt nach Los Cabos in Mexiko, wo die
Verhaftung des Drogenbarons El Chabo zu einem Krieg der Drogenkartelle
um die Nachfolge geführt hat. Immerhin: 2016 hatte Caracas noch den
unrühmlichen Spitzenplatz belegt. „Abends und nachts gehört Caras den
Gangstern“, berichtet Glass, „da verlässt niemand freiwillig sein Haus“.
Noch
lassen die meisten Venezolaner sich diese Zustände gefallen, von der
Ausreisewelle und Demonstrationen einmal abgesehen. Oder, wie Glass es
formuliert: Bislang warteten seine Landsleute „duldsam, auf den Sieg
demokratischer Grundwerte setzend, auf ein friedliches und gewaltfreies
Ende dieses Albtraums“. Die Frage sei nur, wie lange noch. Umstürze, oft
auch blutige, hätten in Lateinamerika schließlich Tradition.
In
dem Gastbeitrag, in dem er im Mai um Wähler warb, hatte Maduro noch die
Einheit des Landes beschworen und das Bild seines hellen Venezuelas
gemalt. „Für mich stehen die Menschen an erster Stelle“, beteuerte er
damals. „Für uns bedeutet Wirtschaft Gerechtigkeit und Demokratie
bedeutet Schutz.“
Doch
jetzt schlägt er ganz andere Töne an. Sollte es Widerstand gegen seine
zweite Amtszeit geben, will er hart gegen seine Kritiker vorgehen. „Wir
werden nicht die Augen verschließen, wenn gegen uns konspiriert wird“,
sagte er am Mittwoch. „Wer auch immer Umsturzpläne hegt, sollte wissen,
dass er es mit der Justiz, der Verfassung und der zivil-militärischen
Macht zu tun bekommt.“
Scheint,
als würde selbst Maduro anerkennen, dass es da draußen doch nur ein
Venezuela gibt – und sich fragen, ob es wirklich das Seine sein kann.
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