Haltet sie weg, hier wollen wir sie nicht, auf keinen Fall
Von Gerhard Spörl
Die Migranten-Karawane: Viele Tausend Kilometer haben die Flüchtlinge
schon hinter sich gebracht. (Quelle: Carlos Garcia Rawlins/Reuters)
Die ersten aus dem Zug der 5.000 Flüchtlinge aus Honduras sind an
der US-Grenze angekommen. Dort hat Trump die Armee postiert, um illegale
Flüchtlinge zu ergreifen. Doch weder er noch Orban oder Seehofer kann
Menschen daran hindern, dorthin zu gehen, wo sie es besser haben
könnten.
In diesen Tagen habe ich über zwei Ereignisse gelesen, die geschichtlich weit auseinanderliegen, aber dennoch miteinander zu tun haben. Vom einen Ereignis berichten Wissenschaftler, denn es spielt vor 12.000 Jahren. Vom anderen Ereignis berichten die Zeitungen und das Fernsehen, denn es spielt in der Jetztzeit.
Was die Ereignisse verbindet, sind wandernde Menschen, die Mühsal und Gefahr auf sich nehmen, um den einen Ort zu verlassen und an einen anderen zu gelangen, an dem sie es vielleicht besser haben, falls sie unterwegs nicht ums Leben kommen oder umgebracht werden oder kurz vor dem Ziel scheitern.
Vor 12.000 Jahren brachen Menschen in Sibirien
auf, überquerten die Landbrücke, die jetzt unter der Beringsee liegt,
wanderten weiter nach Alaska und zogen dann südwärts, bis sie
schließlich den Zipfel Südamerikas erreichten und besiedelten den
menschenleeren Kontinent.
Alaska in den USA: Bereits vor 12.000 Jahren machten sich Menschen auf dem Weg aus Sibirien ins heutige Amerika. Sie besiedelten den gesamten amerikanischen Kontinent. (Quelle: blickwinkel/F.Bagyi/imago)
Seit Kurzem wissen wir davon, dass sich eine Gruppe von Wanderern aus Sibirien schon vor 14.000 Jahren über Nord- und Südamerika verteilte und ziemlich lange dort lebte. Der Mann in der Kaninchenfelldecke, verendet in Nevada, ist nämlich verwandt mit einem Jungen, der vor 12.700 Jahren in Montana starb und besitzt das gleiche Genom, das zu einem Mann gehört, der vor 10.400 Jahren in Brasilien sein Leben aushauchte.
Menschen wandern. Warum sie damals aufbrachen, obwohl sie nicht wussten, wohin sie kommen würden und was sie dort erwartete, wissen wir nicht. Vielleicht war es in Sibirien unwirtlich und lebensfeindlich. Aber wodurch sich Alaska von der Ursprungssiedlung unterschied, können wir allenfalls ahnen. Auch nicht, was sie sich davon versprochen haben, so weit zu gehen, bis nach Südamerika. Wir wissen nur das Entscheidende: Sie gingen los und kamen irgendwann weit entfernt von ihrem Ursprung an.
Vielleicht ist ja der Mensch im Kern seines Wesens ein Wanderer. Er bricht auf, egal in welche Gefahr er sich begibt, weil er einfach die Hoffnung hegt, dass er anderswo besser leben kann. Vielleicht unterschätzt er die Gefahr und hat keine Information darüber, was ihn erwartet, und unterschätzt außerdem, dass er zur Rückkehr gezwungen werden kann.
Migranten auf dem Weg zur US-Grenze: Bei ihrem beschwerlichen Marsch nehmen die Flüchtlinge jede Hilfe an. Viele mussten ihre Reise aber bereits aufgeben und sind nun in Mittelamerika gestrandet. (Quelle: Go Nakamura/Reuters)
Manchmal nehmen Kleinlaster ein paar Wanderer mit. Sie haben auch schon darum gebeten, dass ihnen Busse zur Verfügung gestellt werden, vergeblich. Etliche haben sich die Füße in den Sandalen, Flip-Flops oder Turnschuhen wund gelaufen. Hunderte Kinder sind krank geworden und deshalb entschlossen sich die Eltern, sicherheitshalber in Mexiko zu bleiben, anstatt noch die 2.000 Kilometer bis zur Grenze auf sich zu nehmen. Dass sie in diesem großen, schwierigen, unsicheren Land mit seiner Armut und Gewalt wirklich besser dran sind als daheim, können sie nur hoffen.
Zweimal in jüngerer Zeit schickten US-Präsidenten Invasionstruppen aus unterschiedlichen Gründen nach Grenada (1983) und Panama (1989). Sie wahrten die Interessenten, die sie definierten, und wieder änderte sich nichts an Armut und Gewalt.
US-Präsident Donald Trump hat Soldaten an die Grenze zu Mexiko geschickt. Das sorgte für Empörung, ist aber auch nicht so anders, als sich die europäische Politik verhält, findet unser Kolumnist. (Quelle: Christian Hartmann/Reuters)
Sollen die 5.000 doch bleiben, wo der Pfeffer wächst, das ist seine Botschaft, und wenn sie dort nicht nur nicht bleiben, sondern illegal in sein gelobtes Land einbrechen, dann bietet er gegen sie seine Armee auf, der er selbstverständlich den Schießbefehl erteilt. 5.000 Soldaten stehen momentan an der Grenze und richten sich darauf ein, gegen Illegale vorzugehen, damit Nordamerika nicht noch mehr von Mittelamerika unterwandert wird.
Zwischen September 2017 und September 2018 sind 369.579 illegale Einwanderer von der Polizei in Städten und Gemeinden aufgegriffen worden, nachdem sie die Grenze überwunden hatten. "Catch and release" war die milde Methode bisher: Wer da war und aufgegriffen wurde, kam wieder frei und durfte im Land bleiben. Er hatte es geschafft, er war sicher und konnte später seine Familie nachholen. Über diese liberale Lässigkeit erregt sich der Präsident gewaltig und verspricht Abhilfe, was seine Anhänger großartig finden. "Catch and return" soll nun die neue Methode sein: Fangt sie und schiebt sie ab.
Auf legalem Weg dürfen es Flüchtlinge versuchen, Einlass ins Land zu bekommen, das immerhin. Sie müssen sich an bestimmten Grenzorten melden und ihr Ansuchen wird dann von der Grenzpolizei geprüft. Auf großes Wohlwollen bei der Anerkennung auf Asyl sollten sie sich nicht verlassen. Die Stimmung, die Trump entfacht, verursacht Abwehr, was sonst. Das gezielte Aufpeitschen der Ressentiments hat dazu beigetragen, dass sich die Verluste bei den Zwischenwahlen zum Kongress am vorigen Dienstag eindämmen ließen. Dieser Umstand bestätigt ihm, wie richtig er mit seinem nordamerikanischen Nationalismus liegt.
Es wird wahrscheinlich niemals enden, dass Menschen wandern, solange es ihnen dort besser ergehen könnte als hier. Sie werden losgehen oder losfahren oder Boote besteigen. Sie werden Wege finden und Drangsal in Kauf nehmen. Sie werden sich davon nicht abhalten lassen, weder von Donald Trump oder Viktor Orban noch von Matteo Salvini oder Horst Seehofer. Nicht einmal vor 12.000 Jahren hat die absolute Unkenntnis der fernsten Ferne die Menschen zum Bleiben veranlasst, die in Sibirien nicht bleiben wollten und unfassbar weit weg ein besseres Leben suchten.
In diesen Tagen habe ich über zwei Ereignisse gelesen, die geschichtlich weit auseinanderliegen, aber dennoch miteinander zu tun haben. Vom einen Ereignis berichten Wissenschaftler, denn es spielt vor 12.000 Jahren. Vom anderen Ereignis berichten die Zeitungen und das Fernsehen, denn es spielt in der Jetztzeit.
Was die Ereignisse verbindet, sind wandernde Menschen, die Mühsal und Gefahr auf sich nehmen, um den einen Ort zu verlassen und an einen anderen zu gelangen, an dem sie es vielleicht besser haben, falls sie unterwegs nicht ums Leben kommen oder umgebracht werden oder kurz vor dem Ziel scheitern.
Migranten-Karawane - Erste Flüchtlinge erreichen US-Grenze in Mexiko
Migranten aus Mittelamerika kletterten am Dienstag am Grenzzaun
zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten hoch. Nach einer Tausende
Kilometer langen Reise durch Mexiko hatten sie die mexikanische
Grenzstadt Tijuana erreicht.
Sie wanderten los und wurden sesshaft
Von einem dieser Menschen wissen wir, dass er sich in eine Decke aus Kaninchenhaut und in ein Vlies aus Schilf hüllte. Er starb und fand ein Grab in einer Grotte, die heute Spirit Cave genannt wird und zu einer bedeutenden archäologischen Fundstätte geworden ist. Die Wissenschaftler haben seine DNS aus Zähnen und Knochen geborgen und bestimmt. Damit bereichern sie unsere Kenntnis von der Menschheit in der Welt, wie sie einmal war.Alaska in den USA: Bereits vor 12.000 Jahren machten sich Menschen auf dem Weg aus Sibirien ins heutige Amerika. Sie besiedelten den gesamten amerikanischen Kontinent. (Quelle: blickwinkel/F.Bagyi/imago)
Seit Kurzem wissen wir davon, dass sich eine Gruppe von Wanderern aus Sibirien schon vor 14.000 Jahren über Nord- und Südamerika verteilte und ziemlich lange dort lebte. Der Mann in der Kaninchenfelldecke, verendet in Nevada, ist nämlich verwandt mit einem Jungen, der vor 12.700 Jahren in Montana starb und besitzt das gleiche Genom, das zu einem Mann gehört, der vor 10.400 Jahren in Brasilien sein Leben aushauchte.
Menschen wandern. Warum sie damals aufbrachen, obwohl sie nicht wussten, wohin sie kommen würden und was sie dort erwartete, wissen wir nicht. Vielleicht war es in Sibirien unwirtlich und lebensfeindlich. Aber wodurch sich Alaska von der Ursprungssiedlung unterschied, können wir allenfalls ahnen. Auch nicht, was sie sich davon versprochen haben, so weit zu gehen, bis nach Südamerika. Wir wissen nur das Entscheidende: Sie gingen los und kamen irgendwann weit entfernt von ihrem Ursprung an.
Vielleicht ist ja der Mensch im Kern seines Wesens ein Wanderer. Er bricht auf, egal in welche Gefahr er sich begibt, weil er einfach die Hoffnung hegt, dass er anderswo besser leben kann. Vielleicht unterschätzt er die Gefahr und hat keine Information darüber, was ihn erwartet, und unterschätzt außerdem, dass er zur Rückkehr gezwungen werden kann.
Auch jetzt brechen Menschen auf für ein besseres Leben
5.000 Menschen sind seit Mitte Oktober unterwegs quer durch Mittelamerika nach Mexiko mit der festen Absicht, dass sie sich über die Grenze nach Nordamerika durchschlagen werden. Die ersten von ihnen haben in diesen Tagen die Grenze zu den USA erreicht. Zuvor haben sie einen Fluss durchschwommen und die Todesroute bei Veracruz überstanden, auf der sonst Hunderte ermordet oder in Bordelle verkauft werden oder als Drogenkuriere arbeiten müssen. Sie nehmen ungeheuer viel auf sich, das Ziel vor Augen.Migranten auf dem Weg zur US-Grenze: Bei ihrem beschwerlichen Marsch nehmen die Flüchtlinge jede Hilfe an. Viele mussten ihre Reise aber bereits aufgeben und sind nun in Mittelamerika gestrandet. (Quelle: Go Nakamura/Reuters)
Manchmal nehmen Kleinlaster ein paar Wanderer mit. Sie haben auch schon darum gebeten, dass ihnen Busse zur Verfügung gestellt werden, vergeblich. Etliche haben sich die Füße in den Sandalen, Flip-Flops oder Turnschuhen wund gelaufen. Hunderte Kinder sind krank geworden und deshalb entschlossen sich die Eltern, sicherheitshalber in Mexiko zu bleiben, anstatt noch die 2.000 Kilometer bis zur Grenze auf sich zu nehmen. Dass sie in diesem großen, schwierigen, unsicheren Land mit seiner Armut und Gewalt wirklich besser dran sind als daheim, können sie nur hoffen.
Inzwischen sind sie gut organisiert. Ein Polit-Aktivist in Honduras soll für den kleinen Exodus geworben haben. Unterwegs kümmern sich Menschenrechtsgruppen um sie und sorgen dafür, dass Fernsehteams und Reporter über den Zug in alle Welt berichten. So ist der lange Marsch ziemlich gut orchestriert und zum internationalen Politikum geworden.
Honduras gehört wie Nicaragua oder Guatemala oder El Salvador zum Hinterhof Nordamerikas. Viele Präsidenten der Weltmacht haben darauf Einfluss genommen, wer in diesen Ländern regiert und wer sie ausbeuten darf. Die Zeiten, in denen dort nur Armut herrschte und nicht auch noch Gewalt, waren selten. Militärdiktaturen bevorzugte Washington, weil sie für Friedhofsruhe und geordnete Geschäfte sorgten. Linke Regierungen lösten die Generäle ab, doch Armut und Gewalt grassierte weiterhin, Korruption sowieso.Zweimal in jüngerer Zeit schickten US-Präsidenten Invasionstruppen aus unterschiedlichen Gründen nach Grenada (1983) und Panama (1989). Sie wahrten die Interessenten, die sie definierten, und wieder änderte sich nichts an Armut und Gewalt.
Trumps Unverständnis ist logische Konsequenz
Insofern ist Donald Trump sogar ehrlicher als etliche Vorgänger in seiner imperialen Arroganz gegenüber den mittelamerikanischen Staaten, die weder Wohlstand noch Demokratie hinbekommen. Der Widerwillen gegen den Exodus der 5.000 Menschen, für deren Not und Elend und Hoffnung er keinerlei Verständnis aufbringt, ist nur die logische Konsequenz. Die durchwanderten Länder, vor allem Mexiko, sind aus Trumps Sicht die Dealer, die den Stoff liefern.US-Präsident Donald Trump hat Soldaten an die Grenze zu Mexiko geschickt. Das sorgte für Empörung, ist aber auch nicht so anders, als sich die europäische Politik verhält, findet unser Kolumnist. (Quelle: Christian Hartmann/Reuters)
Sollen die 5.000 doch bleiben, wo der Pfeffer wächst, das ist seine Botschaft, und wenn sie dort nicht nur nicht bleiben, sondern illegal in sein gelobtes Land einbrechen, dann bietet er gegen sie seine Armee auf, der er selbstverständlich den Schießbefehl erteilt. 5.000 Soldaten stehen momentan an der Grenze und richten sich darauf ein, gegen Illegale vorzugehen, damit Nordamerika nicht noch mehr von Mittelamerika unterwandert wird.
Zwischen September 2017 und September 2018 sind 369.579 illegale Einwanderer von der Polizei in Städten und Gemeinden aufgegriffen worden, nachdem sie die Grenze überwunden hatten. "Catch and release" war die milde Methode bisher: Wer da war und aufgegriffen wurde, kam wieder frei und durfte im Land bleiben. Er hatte es geschafft, er war sicher und konnte später seine Familie nachholen. Über diese liberale Lässigkeit erregt sich der Präsident gewaltig und verspricht Abhilfe, was seine Anhänger großartig finden. "Catch and return" soll nun die neue Methode sein: Fangt sie und schiebt sie ab.
Auf legalem Weg dürfen es Flüchtlinge versuchen, Einlass ins Land zu bekommen, das immerhin. Sie müssen sich an bestimmten Grenzorten melden und ihr Ansuchen wird dann von der Grenzpolizei geprüft. Auf großes Wohlwollen bei der Anerkennung auf Asyl sollten sie sich nicht verlassen. Die Stimmung, die Trump entfacht, verursacht Abwehr, was sonst. Das gezielte Aufpeitschen der Ressentiments hat dazu beigetragen, dass sich die Verluste bei den Zwischenwahlen zum Kongress am vorigen Dienstag eindämmen ließen. Dieser Umstand bestätigt ihm, wie richtig er mit seinem nordamerikanischen Nationalismus liegt.
Werden die Soldaten wirklich schießen?
Jetzt warten wir darauf, was passiert, wenn die Kohorten aus Honduras an der Grenze ankommen und entweder legal oder illegal rüber wollen. Je mehr Legale zurückgeschickt werden, desto mehr werden sich sagen: dann eben illegal. Schießen die Soldaten sie dann wirklich ab, wie damals an der deutsch-deutschen Grenze?Es wird wahrscheinlich niemals enden, dass Menschen wandern, solange es ihnen dort besser ergehen könnte als hier. Sie werden losgehen oder losfahren oder Boote besteigen. Sie werden Wege finden und Drangsal in Kauf nehmen. Sie werden sich davon nicht abhalten lassen, weder von Donald Trump oder Viktor Orban noch von Matteo Salvini oder Horst Seehofer. Nicht einmal vor 12.000 Jahren hat die absolute Unkenntnis der fernsten Ferne die Menschen zum Bleiben veranlasst, die in Sibirien nicht bleiben wollten und unfassbar weit weg ein besseres Leben suchten.
Leider müssen wir einsehen, dass Donald Trump nur schamlos betreibt,
was wir hier in diesem Land mit schlechtem Gewissen auch anstreben:
Haltet sie ab zu kommen, diese Flüchtlinge, oder greift sie in der
Türkei oder Griechenland oder Spanien auf, sodass sie sich nicht hierher
durchschlagen können. Genug von ihnen sind schon zu uns gewandert oder
gefahren, mehr wollen wir nicht, ganz bestimmt nicht, egal ob sie in
eine Decke aus Kaninchenhaut gehüllt sind oder Jeans tragen: bleibt
fern, bleibt uns vom Leibe.
Viel besser sind wir nicht, oder?
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