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Dienstag, 27. Oktober 2015

Flüchtlinge auf Borkum: Notlösung ist Glücksfall

 


Inselbewohner heißen die ankommenden Flüchtlinge willkommen. Foto: dpa

Borkum. Kriegsfotos auf Handys, Folterspuren und seelische Wunden: Die Eindrücke der auf Borkum einquartierten Flüchtlinge erschüttern Insulaner und Touristen.

Borkum hat trotz oder gerade wegen seiner Randlage besonderen Charme: 280 000 Urlauber strömen jährlich auf die Nordsee-Insel in Niedersachsen. Davon leben rund 5200 Einwohner, und nach der Hauptsaison im Sommer und den Herbstferien ist jetzt eigentlich Flaute im Tourismusgeschäft. Doch nun sind völlig andere Gäste angereist. Erstmals sind Flüchtlinge auf Borkum einquartiert, obwohl der Wohnraum hier wie auf den anderen ostfriesischen Inseln knapp ist.



Flüchtlingen wohnen in Jugendherberge

Als Lösung bot sich die größte Jugendherberge Deutschlands „Am Wattenmeer“ mit 600 Bettenplätzen an. 250 Flüchtlinge leben dort seit einer Woche - eine Notlösung, nachdem das Land Niedersachsen mit einem Hilferuf Städte und Landkreise zur Hilfe verdonnert hatte.
„Aber auch ein Glücksfall für die Flüchtlinge“, sagt Hausleiterin Petra Bötcher. Denn statt Massenschlafplätzen in Turnhallen gibt es hier viele Mehrbettzimmer für Familien mit Kindern. Sie haben teilweise zehn bis 28 Tage Flucht hinter sich, eine Odyssee von Syrien über die Türkei, per Boot nach Griechenland und auf dem Landweg weiter über Serbien, Ungarn, Österreich nach Bayern. (Weiterlesen: Hit auf Facebook - Polizei postet gegen VorurteileHit auf Facebook: Polizei postet gegen Vorurteile)
„In Syrien hatten die Kinder draußen Angst vor Scharfschützen und Bomben, jetzt haben sie hier eigene Spielzimmer“, übersetzt Dolmetscher Edlib. Er ist schon vor Jahren aus Syrien geflohen und hat sich freiwillig als Dolmetscher gemeldet. Eine Kollegin von ihm musste nach ein paar Tagen aufgeben: Bei der Frau waren traumatische Erinnerungen an ihre eigene Fluchtgeschichte wieder aufgebrochen.

Initiative gegen Gerüchte

Draußen auf dem weitläufigen Gelände der ehemaligen Marinekaserne spielen Flüchtlingskinder aus Syrien und Afghanistan Fußball. „Unsere Kinder aus dem Dorf spielen mit, Kontakte werden zu Freundschaften“, sagt Fokke Schmidt von der Borkumer Flüchtlingshilfe. Die Initiative sammelt mit rund 60 Unterstützern aus dem Dorf und auch vom Festland Kleidung, Spielzeug und Sachspenden, organisiert Fahrdienste für Helfer - und widerlegt böse Gerüchte.
„Angeblich sollen Urlauber wegen der Flüchtlinge abgereist sein - alles erfunden“, schimpft Schmidt. Seine eigenen Hotelgäste spenden extra Geld für die Flüchtlingshilfe. Auch Urlauber in der Jugendherberge sind geblieben und nehmen Anteil am Schicksal der Flüchtlinge im Nachbarhaus. „Das alles wird dem Tourismus hier nicht schaden - im Gegenteil“, ist der Hotelier überzeugt: „In dieser Notsituation wächst der Zusammenhalt.“ Sogar miteinander zerstrittene Insulaner würden plötzlich wieder gemeinsam anpacken. Allen populistischen Sprücheklopfern gibt er den Rat: „Lasst uns einfach unsere Arbeit machen.“

Schwere Aufgabe für Ärzte

Alles andere als Routine ist auch die Arbeit von Chefarzt Stefan Karl Förg vom Inselkrankenhaus. Mit Mechthild Schäpker vom Gesundheitsamt Leer und anderen organisiert er die Untersuchungen und Behandlungen der Flüchtlinge. Die Mediziner sehen zerschundene Füße, Narben von Granatsplittern und Durchschüssen, die seelischen Wunden können sie nur erahnen: „Ein Mann war ausgepeitscht worden und hatte einen blutigen Rücken. Viele Flüchtlinge zeigen uns Handy-Fotos ihrer Angehörigen, aber auch mit Kriegstrümmern und Leichen.“
Das Ehepaar Mohammed und Jeda hat mit seinen vier Kindern die Flucht aus der umkämpften syrischen Stadt Aleppo ins „Wunschland Germany“ geschafft und fühlt sich „sehr glücklich“. Aber es bleibt die große Ungewissheit: Wie geht es weiter nach der Erstaufnahme auf Borkum, wo finden sie dauerhaft ein neues Zuhause? „Die Menschen müssen jetzt erstmal zur Ruhe kommen, zurück zum Alltag“, sagt Herbergsleiterin Bötcher, „aber dann sollten sie schnell eine Perspektive bekommen.“ (Weiterlesen: Faktencheck - Nehmen Flüchtlinge Jobs in Deutschland weg?)

Ein Artikel von dpa

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