Besoffen durch Statistik?
Der jüngste Ernährungsunsinn hat sich ausnahmsweise einmal nicht durch vollumfängliche Medienpräsenz im deutschsprachigen Raum qualifiziert1. Stattdessen bietet diese Studie ein Paradebeispiel ideologisch orientierter Ernährungsmedizin: Es kam genau das Gegenteil dessen heraus, was die Autoren behaupten. Deshalb spricht einiges dafür, dass die realen Daten dieser Meta-Analyse glaubhaft sind. Sie haben nur einen Schönheitsfehler: Das wahre Ergebnis ist politisch nicht korrekt.
Konkret: Laut Abstract hat die Meta-Analyse der University of Pennsylvania gezeigt, dass...
...völlige Alkoholabstinenz besser für die Gesundheit sei als der (moderate) Konsum von Bier, Wein oder Spirituosen2. Diese Aussage steht damit diametral zum bisherigen Kenntnisstand, demzufolge ein mäßiger wie regelmäßiger Alkoholkonsum eher vorteilhaft sein sollte. „Die bisherige Datenlage war ja gerade für Abstinenzler nicht sehr schmeichelhaft: geringere Lebenserwartung, mehr Fehlzeiten am Arbeitsplatz und höhere Gesundheitsaufwendungen“, erklärt Udo Pollmer, wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E. e.V.).3-8
Allein diese Diskrepanz bietet Grund genug, sich die Originaldaten genauer anzusehen. Und die zeigen genau das Gegenteil dessen, was von den Autoren und damit üblicherweise auch in den korrespondierenden Medienberichten behauptet wird: Beim Alkohol sei nur die völlige Enthaltsamkeit eine gesundheitlich akzeptable Haltung. „Doch wer Alkohol konsumiert, der erfreut sich gemäß dieser Metaanalyse rein statistisch betrachtet einer besseren Gesundheit als ein Abstinenzler“, so Ernährungswissenschaftler Uwe Knop, „und dies gilt laut dieser Studie selbst für Vieltrinker und diejenigen, die aufgrund eines Gendefekts Alkohol weniger gut vertragen.“
Ein Blick auf die entscheidenden Daten (Figures 1 - 3) offenbart: Bei Risikofaktoren wie Bluthochdruck zeigen selbst die „heavy drinkers“ bessere Werte als Abstinenzler, ebenso beim Body-Mass-Index und Hüftumfang. Um es deutlich auszusprechen: „In dieser Metaanalyse schneiden peinlicherweise die Säufer oft besser ab als die Abstinenzler“, so Pollmer, „daran zeigt sich, wie heikel das Geschäft mit unerbetenen Ernährungstipps ist.“ Besonders bemerkenswert: Beim „bösen“ Non-HDL-Cholesterin und dem Entzündungsmarker CRP haben sowohl moderate als auch schwere Trinker nach ärztlicher Lesart bessere Werte als Abstinenzler. Doch nicht nur bei diesen Surrogat-Parametern zeigen sich eklatante Unterschiede zwischen Autorenfazit und Originaldaten. Auch bei den harten Endpunkten schneiden die Bier- und Weintrinker trotz vorsätzlicher Datenmassage tendenziell besser ab: Die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes ist bei Alkoholkonsumenten niedriger.
Man fragt sich unwillkürlich, ob sich an dieser Statistik womöglich ein aus dem Ruder gelaufener Gesundheitsfanatiker vergangen hat? Denn es gehört einiges an Skrupellosigkeit dazu, Daten auf solch schnoddrige Art in ihr Gegenteil zu verdrehen. Doch offenbar haben sich die alkoholaffinen Medizinexperten nur so gedrängelt, um auch auf die Autorenliste zu gelangen. Die Aufzählung aller Namen einschließlich der beteiligten Universitäten und Institute erfordert satte drei Seiten der Originalarbeit!
Fazit: Eine Empfehlung, der Gesundheit zuliebe auf Alkohol zu verzichten, kann aus dieser Studie nicht abgeleitet werden – wenn, dann ist rein statistisch das Gegenteil zutreffend. Eine andere Empfehlung ist dafür umso klarer: Die Ernährungsberatung hat einen Grund mehr, sich mit allgemeinen Gesundheitstipps zurückzuhalten.
Quellen
1. Moderater Alkoholgenuss ohne Vorteile für die Gesundheit. aerzteblatt.de, 14.07.14 / Drinking alcohol provides no heart health benefit, new study shows. ScienceDaily 10.7. 2014 / Spencer B: Moderate drinking IS bad for your health: Just two glasses of wine a day can cause problems. DailyMail 10.07.2014
2. Holmes MV et al: Association between alcohol and cardiovascular disease: Mendelian randomisation analysis based on individual participant data. BMJ 2014; 349: g4164
3. Vahtera J et al: Alcohol intake and sickness absence: A curvilinear relation. American Journal of Epidemiology 2002; 156: 969-976
4. Power C et al: U-shaped relation for alcohol consumption and health in early adulthood and implications for mortality. Lancet 1998; 352: 877
5. Goldberg DM et al: Moderate alcohol consumption: the gentle face of Janus. Clinical Biochemistry 1999; 32: 505-518
6. Wannamethee SG, Shaper AG: Lifelong teetotallers, ex-drinkers and drinkers: mortality and the incidence of major coronary heart disease events in middle-aged British men. International Journal of Epidemiology 1997; 26: 523-531
7. Salonsalmi A et al: Drinking habits and sickness absence: the contribution of working conditions. Scandinavian Journal of Public Health 2009; 37: 846-854
8. Newcomb P et al.: Alcohol Consumption Before and After Breast Cancer Diagnosis: Associations With Survival From Breast Cancer, Cardiovascular Disease, and Other Causes. Journal of Clinical Oncology 2013: Published online before print April 8
Die Quellen 3.-8. stellen eine EU.L.E-Auswahl zahlreicher Studien mit vergleichbaren Ergebnissen dar.
01. August 2014 EU.L.E.
Wenn das stimmt, dann sollte man doch mal wieder die Nachrichten von Dörfern mit hoher Lebenserwartung nachdenken, die täglich ihren Rotwein trinken.
AntwortenLöschenViel wichtiger ist die Manipulation von Studien. Komme selber aus einer Weinbauernfamilie und die sind fast alle im hohen Alter gestorben und sicher lustiger.
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