ZEIT ONLINE
Der scheidende Münchner Zoodirektor Henning Wiesner
über das dramatischen Artensterben, artgerechte Tierhaltung und die
Frage, warum Knut den Zoos geschadet hat
ZEIT ONLINE: Sie sehen recht fröhlich aus, Herr Wiesner . Freuen Sie sich auf den Ruhestand?
Wiesner: Man muss das Leben positiv sehen und das Negative möglichst ausblenden.
ZEIT ONLINE: Eigentlich müssten Sie ja längst depressiv geworden sein angesichts des dramatischen Artensterbens.
Wiesner: Es stimmt, die Situation der letzten echten Naturgebiete auf dieser Erde ist dramatisch. Gegen die Abholzung der Regenwälder des Amazonas , aber auch in Borneo und Sumatra scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Jetzt geht es um die letzten Refugien und Reserven. Japan und China streiten schon darum, wer die gewaltigen Krill-Bestände im Eismeer nutzen darf, von denen sich etwa die großen Wale ernähren.
- Henning Wiesner
- Der 64-jährige Henning Wiesner
ist einer der bekanntesten Wildtierexperten Deutschlands. Der
ausgebildete Tierarzt ist seit 1981 Zoologischer Direktor des Münchner Tierparks Hellabrunn und tritt in diesem November in den Ruhestand. Als Honorarprofessor lehrt er Biologie und Veterinärmedizin an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.
Außerdem war er beratender Zootierarzt am berühmten Max-Planck-Institut
für Verhaltensforschung in Seewiesen, an dem einst Konrad Lorenz
arbeitete. Wiesner hat sich vor allem mit gelungenen
Auswilderungsprojekten einen Namen gemacht und ist in aller Welt als
Berater von Tierschutzorganisationen und Zoologischen Gärten tätig.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde er durch die von ihm
perfektionierte Technik, Tiere mit dem Blasrohr statt mit dem Gewehr
schonend zu betäuben.
Wiesner: Ach, das ist eine riesige Liste. Fangen wir an bei den Primaten. Die Schimpansen, unsere nächsten Verwandten, die Orang-Utans und Gorillas, alle sind hochgradig bedroht, weil ihre Habitate einfach verschwinden. Die Lebensräume der indischen Elefanten sind so zersiedelt, dass da auch fast nichts weitergeht. Dann natürlich die Nashörner, alle Großkatzen, die Eisbären … Wir sind einfach viel zu viele Menschen. Da bleibt für die armen Viecher kein Platz mehr auf diesem Planeten.
ZEIT ONLINE: Aber es gibt doch auch in der "Dritten Welt" große Schutzgebiete …
Wiesner: Das Wort Schutzgebiete muss man in dicke Anführungszeichen setzen. Da wird oft genauso geholzt und gewildert wie ein nicht "geschützten" Gebieten. In einem riesigen Nationalpark in China sind jüngst Bodenschätze gefunden worden. Den haben sie jetzt mit einer Straße einfach in zwei Teile zerschnitten.
ZEIT ONLINE: Was ist zu tun?
Wiesner: Die Geld-gegen-Natur-Initiative, die Ecuador ins Spiel gebracht hat, halte ich prinzipiell für eine interessante Sache: Die reichen Ländern geben Geld, damit die armen Staaten etwa ihr Öl im Boden lassen und die Natur bewahren. Allerdings ist natürlich nicht klar, wie lange eine solche Übereinkunft hält, was passiert, wenn die Regierung wechselt oder es zu einem Putsch kommt.
Das Verhältnis vom Mensch zum Tier ist schwer gestört
Knut und Flocke in Nürnberg haben der "Idee Zoo" mit dem überzogenen Rummel mehr geschadet als genützt
Henning Wiesner, Zoodirektor
ZEIT ONLINE: Hellabrunn ist ja auch durch gelungene Auswilderungsprojekte bekannt geworden …
Wiesner: Wir haben sehr gute Erfolge mit der Mhorrgazelle in Marokko , der schönsten Gazellenart überhaupt. Sie lebte in den Halbwüsten zwischen Atlas und Sahara und war dort Ende der sechziger Jahre ausgestorben. Ein paar Tiere hatten in Spanien überlebt. Wir kauften vor 29 Jahren acht dieser Gazellen und begannen mit der Nachzucht. Vor 16 Jahren brachten wir drei Tiere von uns und drei aus Spanien zurück in ein neues Schutzgebiet in der Nähe von Marrakesch . Heute leben dort wieder 220 Exemplare. 18 von ihnen haben wir erst vor kurzem eingefangen und in anderes neues Schutzgebiet jenseits des Atlas bei Erfoud gebracht. Marokko haben wir auch gewählt, um den Waldrapp , eine Ibisart, wieder anzusiedeln, der auch bei uns in den Alpen heimisch war. Ein weiteres Programm läuft mit den Przewalski-Urwildpferden im Altyn-Emel Nationalpark in Kasachstan.
ZEIT ONLINE: Auf der einen Seite Artensterben und Massentierhaltung, auf der anderen der Rummel um Knuddel-Knut. Ist das Verhältnis des Menschen zum Tier pathologisch?
Wiesner: Ich würde sagen, es ist schwer gestört. Das Wissen selbst um die heimischen Tierarten geht immer mehr verloren. Wir haben eine riesige Entfremdung von der Natur. Und die Bildungspolitik der vergangenen Jahre hat das Problem noch verschärft. Es ist ein Unding, dass der Biologieunterricht an den Schulen massiv zusammengestrichen wurde.
ZEIT ONLINE: Haben Sie sich gefreut über Knut? Ihre Eisbären leisten dem prominenten Raubtier ja zurzeit im Berliner Zoo Gesellschaft, während in Hellabrunn das Eisbärengehege neu gebaut wird.
Wiesner: Knut und Flocke in Nürnberg haben der "Idee Zoo" mit dem überzogenen Rummel mehr geschadet als genützt. Jetzt sehen wir uns Vorwürfen ausgesetzt, wir würden Jungtiere nur züchten, um möglichst viele Besucher anzulocken. Das ist natürlich Unsinn. Sehen Sie: Hellabrunn hat seit 25 Jahren konstant 1,3 Millionen Gäste pro Jahr. Die kommen doch nicht, weil wir dauernd neue Knuts präsentieren, sondern weil sie sehen, dass die Tiere von uns gut behandelt werden, sich wohlfühlen und gerne bei uns leben.
Es kommt weniger auf die Größe des Geheges an als auf dessen Ausgestaltung
Wiesner: Die große Freiheit der Wildtiere ist ein Mythos. Der Eisbär wandert nur so weit, weil er Hunger hat. Gleiches gilt für Adler und Habichte. Und die goldene Freiheit eines Rotkehlchens endet an der Reviergrenze des Nachbarn.
ZEIT ONLINE: Alle Vorwürfe vom Zoo als Gefängnis unberechtigt?
Wiesner: Es kommt weniger auf die Größe des Geheges an als auf dessen Ausgestaltung. Und da haben wir in den vergangenen Jahren vieles dazugelernt. Ein Beispiel: Früher waren die Böden unserer Gehege für Gorillas und Orang-Utans gefliest. Das war nötig, weil die Tiere oft an Wurmbefall litten und der Kot regelmäßig mit einem Wasserschlauch weggespritzt werden musste. Heute haben wir den Parasiten tiermedizinisch im Griff und können unsere Primaten sogar in den Innenräumen auf Naturrasen halten. Alle Verhaltensauffälligkeiten, die von der zu sterilen Haltung herrührten, etwa Übernervosität und häufiges Erbrechen, sind seitdem verschwunden.
ZEIT ONLINE: Wir können also guten Gewissens am Sonntag in den Zoo gehen?
Wiesner: Sicher. Ich erzähle Ihnen noch eine Geschichte: Als ich für meine Totenkopfäffchen ein Seil spannen ließ, das von ihrem Gehege über den Besucherweg hinweg in die Bäume der Isarauen, also in die "Freiheit" führte, wurde ich von meinen Tierpflegern ausgelacht. Die dachten, ich spinne. Die kämen doch nie wieder. Ich habe eine Flasche Champagner gewettet, dass am Jahresende alle noch da sind – und gewonnen! Kein einziges Äffchen fehlte. Denen gefällt es einfach bei uns.
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