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Dienstag, 3. Dezember 2013

"Ein Teller Spargel ist so nahrhaft wie ein kleiner Korken"

Spargel-klein
 Foto: Stephan Mosel, Lizenz: CC BY 2.0

   


Gegen vegetarische Ernährung ist wahrhaftig nichts einzuwenden. Aber spätestens seit dem Grünen-Wahlkampf-Hit Veggie Day sollte es erlaubt sein, darüber nachzudenken, was in den Köpfen des militanten Teils der Fleischlos-Bewegung eigentlich so vorgeht. Der Lebensmittelchemiker und Publizist Udo Pollmer tut das schon lange. Hans Kantereit von Effilee hat ihn zu einem ausgewogenen Mittagessen eingeladen.



 erschienen in Effilee Winter 2013/2014 S. 82-86

 

HK: Herr Pollmer, wir sitzen hier fröhlich bei Tisch und Sie haben der Bedienung eben eine klare Ansage gemacht: Sollte zu Ihrem Geschnetztelten ein Salat gehören, dann bräuchte sie ihn für Sie nicht zu servieren. Gibt es da irgendwelche Berührungsängste?



UP: Nicht mit der Bedienung. Aber beim Salat kommt’s drauf an, wonach einem der Sinn steht. Nehmen wir mal den worst case: Der Gast will den Salat nicht zum Behufe der Sättigung, sondern legt Wert auf Gesundheitssymbole. Dann kriegt er Grünzeug – rein symbolisch. Sollte er wirklich Wert auf Vitamine und Ballaststoffe legen, dann wäre der Wurstsalat eine gute Wahl. Allen roten oder auch rosa Wurstsorten ist Vitamin C zugesetzt, als Umrötebeschleuniger. Der normale Kopfsalat, den die Bedienung wahrscheinlich serviert hätte, ist dagegen vitaminarm. Vitamine enthält er nur in den Nährwerttabellen. Bei Wurst und Schinken hingegen hat man den Vitamingehalt in den Tabellen nach unten manipuliert, damit der Benutzer mit eigenen Augen sieht: Grüner Salat ist toll, Wurst wertlos.

In der Tat sind aber rote Wurstsorten die wichtigsten Vitamin-C-Lieferanten und nicht etwa frische Kräuter. Bei den Ballaststoffen sieht’s ähnlich aus: Seit die Ballaststoffe als gesund gelten, werden die tierischen Ballaststoffe nicht mehr erwähnt. Offiziell sind Wurstwaren jetzt sogar frei von Ballaststoffen – früher gab’s regelmäßig Beanstandungen, weil zu viel tierische Ballaststoffe (wie Sehnen) drin waren. Das Fälschen von Nährwerttabellen...

...hat Methode. Da wird lauthals von Verbraucherschützern Klage geführt, dass die Hersteller auf den Etiketten lügen wie gedruckt – und in deren Ernährungsberatung wird gelogen, dass sich die Balken biegen.

Apropos Salat: Wem all die blöden Vitamine und Ballaststoffe wurscht sind, der kann getrost auch Kopfsalat essen – wenn er ihm schmeckt.



HK: Sie sagten im Vorgespräch, der militante Vegetarismus, über den wir reden wollen, sei auch ein Generationsproblem. Ist die Bewegung nicht schon älter?



UP: Natürlich ist sie älter – Tierschutz und Vegetarismus waren ein ganz zentraler Propagandainhalt im Dritten Reich. Doch dass diese alten Wurzeln wieder frische Blüten treiben, liegt an der Gegenwart. Der technische Fortschritt begünstigt exotische Meinungen. Klingt komisch, aber in unserer Kindheit haben wir uns praktisch nur mit den Gleichaltrigen aus dem lokalen Umfeld ausgetauscht. Heute leben die jungen Menschen zunehmend in sozialen Netzwerken – und damit letztlich in gedanklicher Isolationshaft. Wer eine absonderliche Idee hat, findet sofort ein Rudel Gleichgesinnter. So gewinnen krude Ansichten – egal ob Ernährung, Klimawandel oder Feindbilder – schnell Anhänger.



HK: Die Medien haben Schuld?



UP: Wenn heute in einer Redaktion eine Mail eintrudelt, die sich negativ über einen Beitrag äußert, dann wird diese Mail mit dem Faktor siebentausend bis zehntausend multipliziert. Das soll die Zahl der Leser oder Zuschauer wiedergeben, die mit dem Inhalt des Beitrags nicht einverstanden sind. Wenn also Tierschützer oder Gesundheitsspinner sieben böse Mails zu einem Beitrag losschicken, dann sind fünfzig- bis siebzigtausend Kunden gegen diesen Beitrag gewesen. Schon heißt es in den Redaktionen: »Das können wir nicht mehr bringen«. Das heißt, es genügen zwanzig Pappnasen, die unter gefakten Mailadressen regelmäßig gegen Wissenschaftler wettern, die ihnen nicht genehm sind, um die Medienlandschaft umzugestalten. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass die Tierschutzorganisationen jederzeit viele junge Menschen mobilisieren können, die ehrenamtlich für die gute Sache kämpfen, dann versteht man deren Erfolge. Fachleute schätzen, dass die Tierschutzorganisationen in Deutschland jährlich Spendengelder in Höhe bis zu einer halben Milliarde Euro einsammeln. Da macht es wirklich keinen Sinn mehr, arbeiten zu gehen. Spendensammeln ist lohnender, relativ krisensicher und das bei freier Zeiteinteilung.

Auf diese Weise haben sich auch die NGOs mit ihren Weltuntergangsszenarien in Szene gesetzt. Nun nutzen das Geschäftsleute aller Art, die entweder Ablasshandel mit Biodiesel betreiben, für Milliarden gefälschte CO²-Zertifikate verhökern und erzählen, wir würden alle ersaufen, wenn der Teufel die Höllenfeuer anfacht und das ewige Eis abschmilzt.

Das Internet wird von diesen Organisationen wie eine Güllegrube mit Desinformation befüllt, aus der dann viele Menschen ihr Wissen schöpfen! Vieles, was als Wissen verfügbar wäre, geht darin nicht nur unter, sondern fehlt in gar auffälliger Weise. Vor ein paar Monaten hab ich zum Thema tierische Ballaststoffe recherchiert. So wie es pflanzliche Ballaststoffe gibt, gibt es auch tierische, schwer verdauliche Bestandteile wie Knorpel, Sehnen und so weiter. So stand es früher auch in den Lehrbüchern. Seit Ballaststoffe allerdings gesund sind, werden die tierischen nicht mehr in den Nährwerttabellen ausgewiesen. Mittlerweile gibt es offenbar keine Dokumente mehr im Internet, die korrekterweise auf diese Ballaststoffe hinweisen, egal ob in Deutsch oder in Englisch. Sie sind verschwunden.



HK: Wenn das stimmt, wäre es bedrohlich.



UP: Es gibt anscheinend Mittel und Wege die Meinungsführerschaft zu erringen, indem korrekte Information verschwindet. Die Fachleute, die wirklich Ahnung haben, haben keine Chance mehr, weil sie ja naturgemäß einer Arbeit nachgehen und ihnen die Zeit fehlt, irgendwelche Kommentare in den Chats abzulaichen oder junge Leute damit zu beschäftigen, die ehrenamtlich Propaganda verbreiten. Je weniger Ahnung einer hat, desto größer ist seine Chance, als Sieger aus einem Diskurs herauszugehen.



HK: Was sagt uns das über Bezirke wie zum Beispiel Berlin-Mitte, wo ganze Strassenzüge versuchen, kollektiv vegetarisch und/oder vegan zu werden und dabei nicht den allergeringsten Spaß verstehen?



UP: Sollen sie doch! Viele Menschen – vor allem Frauen – essen vegetarisch, weil sie sich davon einen Abnehmeffekt erhoffen. Die haben als Kinder zugesehen, wie Mama mit ihren vielen Brigitte-Diäten immer fetter wurde, und da sagen die sich: »Da bin ich schlauer, ich ernähr mich vegetarisch, dann kann ich durch Verzicht auf Wurst das Fett weglassen, ohne eine Diät zu machen.« Die nennen sich heute Teilzeitvegetarier, weil sie am nächsten Tag wieder einen Salat mit Putenstreifen essen. Teilzeitvegetarier – auch so ein Wort aus Absurdistan. Demnächst nennen sich die Alkoholiker, wenn sie die letzte Flasche leergetrunken haben, Teilzeitabstinenzler.

Die Vegetarier und Veganer, die ihre Rechtfertigung aus der Tierrechtsbewegung beziehen, kennen wenig Skrupel. Viele stehen auf dem Standpunkt: Wer Tiere hält oder gar schlachtet, muss damit rechnen, dass auch ihm oder seinen Mitarbeitern Leid zugefügt wird. Da werden dann Betriebe abgefackelt oder verwüstet – wie beispielsweise nagelneue Ställe oder Pferdemetzgereien. Auf diese Weise regelt auch das Angebot an Gewalt die Nachfrage nach Fleisch.



HK: Wollen Sie damit sagen, unsere Gesellschaft beugt sich schon wieder der Saat der Gewalt?



UP: Die vegetarische Bewegung selbst hat ihre Wurzeln im Dritten Reich. Viele Nazigrößen waren Vegetarier und Gegner jedweder Tierversuche, damals Vivisektion genannt. Adolf Hitler hat sich als Tierschützer feiern lassen, und die Tierschutzorganisationen waren mit die wichtigsten Unterstützer der nationalsozialistischen Bewegung. In der braunen Propaganda war zu lesen, dass der »Führer schärfster Gegner jedweder Tierquälerei« sei, »vor allem der Vivisektion, der ›wissenschaftlichen‹ Tierfolter, dieser entsetzlichen Ausgeburt der jüdischmaterialistischen Schulmedizin«. Er erklärte, dass »im nationalsozialistischen Staat diese Zustände bald beendet sein werden«. Die erste öffentliche Erwähnung des KZ-Systems geschah durch Göring, als er 1933 verlauten ließ, dass »alle Personen, die trotz des Verbotes die Vivisektion veranlassen, durchführen oder sich daran beteiligen«, deshalb »ins Konzentrationslager abgeführt« werden. Auch der Kampf gegen die Pelze stammt aus dieser Zeit – denn wohlhabende Jüdinnen galten als typische Pelzträgerinnen.

Die heutigen Vegetarier wissen von der faschistischen Vergangenheit ihrer Ideologie in aller Regel nichts. Das kann böse Folgen haben. Schon erklären Umweltschützer, dass unsere Welt nur zwei oder drei Milliarden Menschen ertrüge – ohne allerdings zu sagen, was mit dem offenbar ökounwerten Rest zu geschehen habe. Tierrechtler verkündeten, dass das Leben einiger Tiere mit Sicherheit wertvoller sei, als das Leben einiger Menschen.



HK: Um die Pflanzen haben sie weniger Angst?



UP: Wie es bei allen religiösen Bewegungen der Fall ist, gibt es einen Wettbewerb Wer ist der frömmste beziehungsweise Wer ist der vegetarischste Vegetarier? Einige lassen auch Käse, Eier und Fisch weg. Das endet schließlich im Veganismus – da ist sogar der Honig tabu. Die wissen halt nicht, dass der Imker mit seinen Völkern dafür sorgt, dass es Früchte und viele andere pflanzliche Produkte gibt. Ohne Bienen keine vegane Ernährung. Nach den Veganern kommen die Frutarier, die essen nicht einfach Pflanzen, sondern nur das, was die Pflanzen freiwillig hergeben. Dahinter steckt die Schnapsidee, die Pflanzen würden ihre Früchte den Frutariern durchreichen. Doch die Früchte gibt es nicht, um Ideologien zu nähren, sondern sie wollen ihr Saatgut verbreiten und warten eher auf ein Wildschwein, das ihre Früchte frisst. Die Kerne werden per Dunghaufen vom Tier verbreitet. Wenn also ein Frutarier nach dem Essen aufs Klo geht und die Spülung zieht, hat er genau das Gegenteil von dem erreicht, was die Pflanze wollte. Er hat sie um ihren Nachwuchs gebracht. Ein echter Klugscheißer!

Schon kommt die nächste Truppe von Ernährungsbewussten: Sie sind fest davon überzeugt, dass auch Pflanzen eine Seele haben und Schmerz empfinden. Deshalb ist für sie der Vegetarismus um keinen Deut besser. Diese ganz erleuchteten Typen wenden sich der Lichtkost zu. Die essen gar nichts mehr, sondern schwören auf Licht. Dabei berufen sie sich auf irgendwelche indischen Halbheiligen, die sich angeblich seit zwanzig Jahren Sonnenstrahlen lutschen. Der ganze Ulk wird dann von einem zweiten Scherzbold bestätigt, der sich als Arzt ausgibt. Es wird ein Video gedreht und wenn’s auf YouTube die ersten zehntausend Klicks erreicht hat, setzen die sich alle an die Tafel und schlagen sich unter lautem Gelächter über westliche Ernährungsexperten die Wampe voll.



HK: Mal im Ernst – das haben Sie doch gerade erfunden?



UP: Im Gegenteil: Solche Fälle beobachten wir auch in Deutschland. Die essen ein paar Wochen nix und geben dann den Löffel ab. Das ist grausam. Ja, man kann sich im Internet mit Dummheit infizieren und daran sterben! Angefangen hat der ganze Mist mit Vollkorn – auch eine zentrale Idee der Nazis –, nur am Rande: Nichtariern war der Verzehr von Vollkorn bei Strafe verboten! Für die Verbreitung des Unsinns sorgte der Reichsvollkornausschuss. Dann kam die Idee mit dem gesunden Obst. Auch das stammt aus der damaligen Zeit: Der Satz »Am Abend isst der Führer einen Apfel« wurde seinerzeit Millionen von Kindern als das Nonplusultra der Ernährung eingebläut. Die ganzen Bilder von Kindern, die glücklich in einen Apfel beißen, sind heute wieder da. Man sollte dabei nicht aus den Augen verlieren, dass das Dritte Reich eine Versorgungskrise zu bewältigen hatte. Deutschland war damals der größte Importeur von Grundnahrungsmitteln weltweit. Das war einer der wesentlichen Kriegsgründe, daher auch die Idee, der Deutsche brauche mehr Lebensraum – um was anbauen zu können. Und das Ziel war damals der Sojaanbau, wie der Historiker Joachim Drews in seinem Werk Die ›Nazi-Bohne‹ gezeigt hat. Damals glaubte man, man könne mit Soja die Eiweißversorgung der Bevölkerung sicherstellen – und damit endlich auf Fleisch verzichten. Deshalb war der Vegetarismus als Idee so staatstragend.



HK: Das klingt als wäre ein Tofu-Burger in Ihren Augen kein hochwertiges Lebensmittel?



UP: Die Sojabohne ist eigentlich eine Giftpflanze und nicht zu vergleichen mit unserer Gartenerbse. Sie schützt sich mit einer Fülle von Abwehrstoffen vor Fressfeinden. Dazu gehören unter anderem Hormone. Eine intelligente Strategie, mit einem hohen Gehalt an Sexualhormonen die Fruchtbarkeit der Fressfeinde zu senken. Unter Männern, die an Fruchtbarkeitsproblemen leiden, sind auffallend viele Tofu-Esser. Tofu war früher in Asien ein Produkt, das nicht ohne Grund in Männerklöstern hergestellt wurde. Mit Soja war es einfach einfacher, den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten.



HK: Wir reden jetzt drolligerweise von der Fleischeslust?



UP: Das lässt sich ändern. Einer der Hauptvorwürfe der Veganer und Vegetarier an die Fleischindustrie lautet, sie würde den Tieren den natürlichen Tod verweigern. Es ist kaum fassbar, in was für einer gefakten Internet-Welt diese jungen Menschen leben müssen. Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen – wohl aber denen, die sie ins Leben begleiten. Der natürliche Tod in der Natur ist ein grausamer Tod. Die Tiere werden von innen langsam von Parasiten aufgefressen, andere von Raubtieren zu Tode gehetzt. Einer frisst den anderen. Das ist das Gesetz der Natur – die Nahrungsketten sind die Basis der Evolution. Man braucht doch nur einer Katze zusehen, die sich daran delektiert, die Maus ganz langsam zu töten, das ist nach menschlichem Ermessen Tierquälerei pur. Daraus kann man natürlich nicht ableiten, dass der Mensch auch Tiere quälen darf. Er sollte sie immer so behandeln, dass er sich dessen nicht schämen muss. Die militanten Tierschützer stören sich aber weniger an den Missständen der Tierhaltung, sie sind generell gegen die Haltung von Tieren – und es gibt Tierrechtsorganisationen, die den Tod aller Tiere fordern, damit diese nicht mehr leiden müssen. Mal ganz unter uns: Die Schmusetierhaltung ist die größte Tierquälerei überhaupt! Aber die lieben ja alle ihre Tiere – und wenn man andere Lebewesen aus Liebe quält, dann ist ja moralisch alles wieder okay.



HK: Das gibt Ärger!



UP: Nur zu! Und ich bin noch nicht mal fertig: Tierschützer behaupten gern, man könne die Menschheit nur ernähren, wenn wir alle Vegetarier würden. Das Gegenteil ist wahr. Und zwar aus einem ganz simplen Grund: Nach Angaben der Welternährungsorganisation sind etwa sechzig Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen weltweit nur für Tierhaltung verwendbar. Das heißt, man kann auf diesen Flächen gar keine Nahrungspflanzen anbauen, weil es sich um Hochebenen wie in Tibet, Steppen wie in Kasachstan oder Almen wie im Alpenraum oder einfach nur um Heidelandschaft handelt. Ich kann im Allgäu nun mal keinen Brotweizen züchten. Dort gedeihen aber Weidetiere. Keine tierische Produktion bedeutet dort, nix zu essen.



HK: Und wie ist das bei uns – also dort, wo man sehr wohl Spargel oder Kartoffeln anbauen kann?



UP: Gut – machen wir mal eine Ökobilanz auf: Spargel ist das Gemüse der Vegetarierinnen. Er enthält kaum Kalorien und wenig Fett, das macht ihn auf der Stelle beliebt. Jetzt bau ich im Geiste mal einen Hektar Spargel an. Eine Fruchtfolge gibt es nicht, es dauert ein, zwei Jahre, bis ich etwas ernten kann. Überdies brauch ich im Acker, wenn es noch kalt ist, eine Fußbodenheizung. Sonst wird’s nichts mit den Erträgen. Wenn man nun Bilanz zieht, muss man prüfen, wie viele Kalorien von so einem beheizten Hektar in der kurzen Ernteperiode runterkommen. Das ist im Falle Spargel das Schwarze unterm Fingernagel! Spargel trägt zur Ernährung der Bevölkerung fast nichts bei! Keine Kalorien, fast kein Eiweiß – so nahrhaft wie ein kleiner Korken. Da ist der Wein dazu nahrhafter. Würde der Landwirt auf dem Spargelhektar Futterkartoffeln für Schweine anbauen, dann bekäme er vom Schwein einen vielfach höheren Nährwert heraus als mit Spargel. So gesehen ist der Anbau dieser ganzen Modegemüse schlicht Flächenvernichtung. Die vegetarische Kost – so wie sie in Deutschland propagiert wird – bedeutet im Ernstfall Hunger. Zum Glück kann man die Ökobilanz eines Spargelgerichts noch verbessern, indem man eine ordentliche Portion Schinken und zerlassene Butter dazugibt. Dann ist auch ein Spargelgericht ökologisch akzeptabel.



HK: Klingt einerseits logisch und andererseits wie ein streitbarer Standpunkt.



UP: Wir können uns den ganzen Vegetarismus ja überhaupt nur deshalb leisten, weil wir eine hocheffiziente Landwirtschaft haben, und weil unsere Tierhaltung so ausgeklügelt ist, dass genügend Flächen frei bleiben für Produkte, die man nicht zwingend haben muss. Deshalb gibt es Spargelplantagen, Golfplätze und Naturflächen. Früher wurde jeder Quadratmeter genutzt. Da viele Vegetarier versuchen, Kalorien zu sparen, frieren sie. Wenn der Körper nicht mehr genug Energie zum Heizenhat, dann wird’s ihm kalt. In der Folge werden Wohnungen überheizt, damit die gesundheits- und umweltbewussten Zeitgenossen ihren Marotten frönen können. Das Heizen verbraucht natürlich mehr Kalorien als das Essen. Wenn ich ein Büro betrete, merke ich an einer erhöhten Temperatur schnell, wie viele Ernährungsgemütskranke dort Arbeit simulieren. So ist das mit den Ökobilanzen.

Nehmen wir doch mal zur Abwechslung die Ökobilanz für ein Steak. Da draußen laufen auch ganz verwegene Pinsel rum, die bilanzieren, dass man für ein Kilo Rindfleisch fünfzehntausend Liter Wasser brauche. Wenn man dann mal guckt, wie die das hingefummelt haben, staunt man Bauklötze: Wenn das Rind Gras fressen will, muss es auf die Weide. Wenn’s regnet, fällt auf diese Weide Regen, den rechne ich als Verbrauch. Dann behaupte ich, man bräuchte für ein Kilo Rindfleisch gleichzeitig zehn Kilo Getreide. Das ist völlig frei erfunden – mit fünf Kilo Getreide in einer Ration sind die Rinder bereits tot – an einer Azidose verstorben. Das Grundfutter der Rinder ist doch nicht Getreide, sondern Gras, Heu, Silage, Zitrusschalen, Erdnussschalen und viele andere Abfallprodukte einer vegetarischen Kost. Erst das Rind sorgt dafür, dass der Vegetarismus ökologisch abgefedert wird. Dazu kommt – manchmal – etwas Futtergerste. Nun kalkuliert man für die vermeintlichen zehn Kilo Getreide eine Bewässerung der Felder (aber die gibt es nur bei Gemüse – das kommt nicht in die Bilanz der Vegetarier). Am besten machen sich Zahlen aus dem Bewässern von Reisfeldern. So kriegt man mit Mühe fünfzehntausend Liter zusammen. Was sie allerdings noch vergessen haben, ist, bei argentinischem Rindfleisch das Meerwasser einzurechnen, auf dem das Transportschiff gefahren ist. Diese Bilanzen sind keine wissenschaftlichen Berechnungen, sondern simple Tests, mit denen man feststellen kann, wie weit man das Publikum verscheißern kann.



HK: Sie haben mehrfach erwähnt, dass die militanten Veganer und Tierrechtler tun, was sie tun, weil sie höhere Ziele anstreben, die sie mit aller Macht erreichen wollen. Der Aufruf zum Fleischverzicht ist doch – egal wie man dazu steht – einer ungeklärten Weltanschauungsfrage vergleichbar. Welche höheren Interessen meinen Sie?



UP: Jeder gläubige Anhänger einer Religion hat das gute Gefühl, anderen Menschen moralisch überlegen zu sein. Der Ungläubige, heute der Fleischesser, ist ein Heide, den es zu missionieren gilt. Das verschafft mir Bedeutung und Lebensgefühl. Zweitens: Als Rechtler kann man seine gewalttätigen Neigungen ausleben, weil jemand, der das Tier vor Leid schützt, das Recht erworben hat, den Menschen Leid zuzufügen, weil das Leben der Tiere ein gleiches oder gar höheres Gut ist. Die Familien lösen sich mehr und mehr auf, die Jugend braucht neue Gemeinschaften, die einem Heimat und Geborgenheit geben. Und in solchen Gemeinschaften haben die Radikalsten am Schluss immer das Sagen. Denn je radikaler, desto faszinierender und überzeugender wirkt der Glaube.



HK: Könnte man es Ihrer Meinung nach so zusammenfassen, dass diese Leute sich so verhalten, wie sie sich verhalten, weil sie keine besseren Sorgen haben?



UP: Da ist natürlich was dran. Ich will das niemandem vorwerfen. Wir sollten versuchen, es zu verstehen. Als wir junge Leute waren, konnten wir uns aussuchen, welchen Beruf wir ergreifen wollten. Wollte einer Lokführer werden, hieß ihn die Zunft der Lokführer herzlich willkommen. Wollte eine lieber Krankenschwester sein, lag der Weg klar vor ihr, und wer Löwenbändiger werden wollte, wurde gefragt, ob er damit eine Familie ernähren könnte – und man ließ ihn ziehen –, irgendwo würde man ihn schon brauchen. Die Hippies, damals Gammler genannt, die in meiner Gymnasialzeit auf dem Schulweg durch Schwabing das Straßenbild prägten, konnten gammeln. Wenn sie wieder etwas Geld brauchten, gingen sie für ein oder zwei Tage arbeiten – jede Kraft war jederzeit willkommen – und dann reichte es wieder für eine Woche. Auch das Gammeln geschah mit Zuversicht und ohne Existenzangst!

Die Welt hat sich geändert. Früher arbeiteten achtzig Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft, später in der Industrie – beides wurde automatisiert. Nur noch ganze wenige Menschen müssen arbeiten, damit wir unser täglich Brot oder unser neues Handy bekommen. Jetzt kommt auch noch eine elektronische Revolution und es werden bereits Arbeiten automatisiert, für die man von Rechts wegen Intellekt braucht. Computer errechnen chemische Synthesen und Automaten führen sie auch gleich durch, Übersetzungsprogramme verfertigen gute Rohübersetzungen, Roboter ersetzen Chirurgen und Pflegekräfte.

Wenn man heute als junger Mensch auffallen will, dann muss man schon Pinguine am Nordpol retten oder mit Meeresschildkröten um den Südpol tanzen. Andere werden vielleicht Designer für irgendwelchen Web-Käse und empfinden allenfalls das Hacken von fremden Computern als Herausforderung. Oder man wird Therapeut und erfindet Krankheiten, mit denen man sich Respekt verschaffen kann. Es landet ja nicht jedes vierte Kind in irgendwelchen Therapien, weil die alle defekt sind, sondern weil wir Heerscharen von TherapeutInnen haben, die für ihr Ego natürlich geeignete Opfer brauchen.

Wer allerdings den Weltretter spielt, der steht ganz oben in der Nahrungskette. Mit dem Veganismus bin ich Priester dieser Weltrettungsreligion. Wenn man sich ranhält, ist man irgendwann der Chef eines gut gehenden Spendensammelvereins – und kann sich jeden Tag französischen Schampus, Schweizer Käse und argentinische Steaks leisten – und Mädels. Selbstverständlich solche, die nicht im Entferntesten daran denken, sich vegan zu ernähren.




 erschienen in Effilee Winter 2013/2014 S. 82-86

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