Seiten

Dienstag, 28. Mai 2013

Nur ein Hund


   


Anfang Januar erzählten mir Freunde   , dass in ihrer Nachbarschaft ein kleiner gelber Hund die umliegenden Häuser aufsuchte, um was zu fressen zu bekommen. Gegen die Langeweile unternahm der Knirps mit Pepes großen gelben Hund, namens Findus, tobende Unternehmungen. Die schwanzwedelden Freudenskundgebungen dabei hätte jedes Kleintier unter drei Kilo ko. geschlagen. Der gelbe Zottel wog schon mindestens 3,1/2 Kilo und nahm es mit jedem Schwergewicht auf. Wenn dann noch der schwarze Labrador Gandhi hinzukam, war das Hundeleben perfekt. War der Zwerg dann müde, schleppte er vor PePes Augen irgendwelche kuscheligen Utensilien davon. Man musste nur der Rheumadecke und dem Turnschuh nachlaufen um heraus zu bekommen, wo der kleine Kerl zu Hause war. Wie sich herausstellte war es ein böser, böser kleiner Hund, der mit drei Monaten noch immer nicht gelernt hatte, das Grundstück zu bewachen und wurde vom Eigentümer deswegen bestraft. Man sprach mit dem Besitzer. Versuchte ihm klar zu machen, dass das kleine Tier mehr Betreuung brauchte und noch viel zu jung sei für solche Aufgaben. Seine Reaktion war Achselzucken kombiniert mit einer abfälligen Bemerkung: “Nur ein Hund.“


Die Empörung im Umfeld wuchs. Man beobachtete wie altes Brot und verunreinigtes Wasser dem Welpen zu Verfügung gestellt wurde. Als nach 14 Tagen der Besitzer immer noch nicht gekommen war, um mal nach dem Hund zu sehen, holte man Struppi da raus. Dank vieler Menschen musste das Kerlchen nicht hungern, aber wie verlassen fühlt sich ein einsames Hundebaby in kalten Winternächten?!
Der Tierschutz wollte ihn nach Deutschland bringen. Wir boten spontan unsere Hilfe zwecks kurzfristiger Unterbringung an. Das Kerlchen musste erst mal untersucht, geimpft und gechipt werden, bevor er die große Reise antreten konnte.
Irgendwie fühlten wir uns als Komplizen, da die Aktion nicht gerade legal war.

Und dann kam der Moment der ersten Begegnung. Struppi, begleitet von PePe, Gandhis Frauchen und Findus, dem großen gelben Hund.
Da stand das struppige Fellchen und schaute uns neugierig an. Einfach zum Niederknien, das tat ich dann auch. Gandhis Frauchen meinte: „Gut, dass ich sie noch gebadet habe, denn sie stank aus allen Poren!“ Ich roch an dem drahtigen Pelz und drückte das Knäuel fest an mich.
„SIE! Eine SIE?“ stammelte ich immer noch am Erdboden.
„Richtig, weiblicher Hund ca. 3-4 Monate alt, in guter Verfassung.“ Ich sah auf die Schwanzwedelnde Hündin, die für mich erwachsen aussah. Ihre Proportionen stimmten. Im Gegensatz zu unserer Floh, die nach wie vor eher wie eine Halbwüchsige aussah. Wenn die Mäusezähnchen nicht gewesen wären, hätte ich das Alter des Gelbzwergs angezweifelt.
Aber erst mal stiftete Findus die beiden Hundedamen an, den Garten aufzuwühlen . Zumindest hatte Her Difi einen Gesichtsausdruck von Zahnschmerzen. Er sah den drei Hunden hinterher als wäre eine Naturkatastrophe ins Rollen gekommen.
Pepe sprach wie ein Wasserfall auf mich ein. Wenn die Kleine nur einen Blick Richtung Tür werfen sollte, gleich raus setzen!
Ich versuchte von der Seite Herrn Difis Reaktion zu erkennen. Denn ich wusste nicht, ob ihm klar war, dass der Winzling nicht stubenrein sein konnte, da er nicht mal richtig wusste, was eine Stube war. Irgendwie glich sein Gesichtsausdruck eines Zitronenvollbisses. Schlicht, SAUER!
„Sind ja nur 3-4 Wochen“, versuchte ich die Situation zu bagatellisieren. „Na dann viel Spaß“, brummelte die Zitrone.
Irgendwie hatten man es  auf einmal eilig wieder zu gehen. Pepe fing den hechelnden Findus ein und  sagte noch an der Haustür: „Heute wäre es der 16. Tag ohne Nahrung und ohne Wasser für die Kleine.
Wie war das? NUR EIN HUND!“

 Nachdem das Auto weg war, sah uns der kleine Hund erwartungsvoll an. Der Schwanz war eingeklemmt und der Blick ging zur Tür. Wir versuchten die halbe Portion abzulenken und warfen ihr einen Tennisball zu. Unsere Floh fand das lustig auch wenn es ihr Ball war. Endlich mal ein Tier, was nicht miau machte. Das sahen die Katzen anders. Als erstes kam Filou um die Ecke geflitzt und blieb wie angewurzelt stehen. Seine Nase vibrierte. Innerhalb von Sekunden wurde aus dem Handtaschenformatkater, eine aufgeplusterte Wildkatze, die seltsame seitliche Schritte machte um noch fürchterlicher auszusehen. Die kleine Gelbe verstand die Signale nicht und klopfte erst einmal wild mit dem Schwanz. Oh, oh…nicht gut! Nun machte der tanzende Riesenkater auch noch fauchende Geräusche. Struppi bekam noch größere Augen und vergaß das Schwanzklopfen.
Es wurde ein katzenloser Abend. Unsere Samtpfoten zogen es vor, die Nacht draußen zu verbringen. Der Himmel war klar, die Sterne funkelten und fürchterlich KALT! Vielleicht war ja das gelbe Ungeheuer am nächsten Tag wieder verschwunden.
Wir versuchten mit dem Fernseher eine Normalität zu schaffen. Nachrichtenzeit! Wir hatten wohl den Türblick unseres Gastes übersehen, denn die Kleine setzte einen dicken Haufen vor dem Nachrichtensprecher. „Die Informationen sind ja auch beschissen“ frotzelte der Zitronenobelix und grinste orangensüß. Ich war so überrascht von der milden Reaktion, dass ich einige Zeit brauchte, um das struppige Wesen in den Garten zu setzen. Natürlich begriff sie nur Bahnhof und flitzte gleich wieder in die warme Stube zu Herrn Difi, der dabei war die Spuren zu entfernen. „Na, hattu fein gemacht. Ich kann den Typ auch nicht leiden.“ Säuselte Herr Difi. Upps,- ich dachte Herr Difi mag keine Hunde. Floh zählte nicht, die gehörte zur Familie und mochte Katzen wie er. Außerdem war sie die Katzenersatzmutter.
Auf dem Tisch lag das brandneue Impfbuch. Der Strubbel war auf den Namen Sunny eingetragen. Also sagten wir pausenlos Sunny. Sunny komm, Sunny Futter, Sunny Wasser…Soviel Zuwendung war wohl neu und sie genoss es. Vielleicht war es der Moment, wo sie entschied, alles zu tun um nie mehr weg zu müssen. Denn sonst ist es schwer zu verstehen, dass die kleine Seele in ein bereitgestelltes Hundekörbchen hüpfte und keinen Pieps mehr von sich gab. Nun hatten wir zwei Hunde neben dem Bett stehen. Gute Nacht, Flöchen, gute Nacht, Sunny, gute Nacht Obe……..schnarch.


In der Nacht klopfte etwas ans Bett. Sunny hüpfte auf zwei Beinen und versuchte mich zu erreichen. Ich schnappte mir die Kleine und taumelte verschlafen in den Garten. Sunny jaulte kurz auf und flitzte zurück ins Hundekörbchen und machte sich platt. Sie hatte wohl angst ausgesetzt zu werden. Die Sterne funkelten wie kalte Diamanten. Ich versuchte mit Streicheleinheiten die Kleine zu beruhigen und verzichtete auf einen zweiten Versuch. Gerade als ich wieder in das Land der Träume hinüber döste, schlug Sunnys Schwanz verzweifelt ans Bett. Herr Difi brummelte: „Man nannte sie auch Klopfer“. In meiner Ratlosigkeit animierte ich Floh mitzugehen. Floh sah sich kritisch um, ob nicht irgendwelche Feinde irgendwo lauerten und die Kleine konnte sich endlich erleichtern. Mitten auf der Terrasse. Meine Lobeshymnen hörten alle Hunde im Umkreis von 2 Kilometern. Ich war so mit meinen übertriebenen Tönen beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkte, dass sich Sunny schon wieder im Körbchen platt gemacht hatte.
Die nächsten Nächte waren spannend. Floh ging als erste voraus und sicherte die Lage, Sunny hinterher und probierte alle Ecken des Gartens aus und ich als Schlusslicht-Schlafwandlerin mit Tendenz zum Bett. Aber der Flokati begriff sehr schnell, was wir von ihr wollten.
Nun sollte das Hundebaby lernen, dass es noch ein anderes Leben außerhalb der Finca gab. Wir hatten ihr einen Gurt angepasst und versuchten ihr das Gehen an der Leine beizubringen. Es ging leichter als wir dachten, da der Zottel hinter Floh raste. Dabei blieb sie allerdings absolut straßenrein. Unsere Floh setzte überall ihre Duftnote hin. Das Flohwarhier-Parfüm ist eine absolut verlässliche Spur der Wegmarkierung.
Die Kleene schaute nur mit Kulleraugen überall hin und versuchte die neuen Geräusche einzuordnen. Wir wollten ans Meer um Sunny auf Wassertauglichkeit zu testen. Es sollte ein schöner Tag werden. Essen am Strand und Hunde die sich austoben konnten. Es war Winter und man hatte den Strand fast für sich allein.
Vorher gingen wir noch ins Dorf um die Post abzuholen. Eher ein lästiges Ritual, da es mit Auto und den engen Gassen nicht ganz einfach ist.
Es war der Bruchteil einer Sekunde von der Ewigkeit. Sunny zog hinter Floh her, es gab ein Ruck an meiner rechten Hand…ein Hauch von Todesstille…. Wie in einem Sekundenspot sah ich ein Motorrad, mit einem fast noch Kindfahrer ohne Helm, mit entsetztem Gesicht. Sunny flog in Zeitlupe über die Straße und schrie in Todesangst. Und noch mal blieb die Welt für einen Moment stehen. Dann klatschte der kleine Körper dumpf auf. Wie durch einem Vakuum drang ich zu der kleinen Seele vor. In Erwartung von gebrochenen Gliedern und Blutlachen. Aus mir stammelte es ununterbrochen: „Bitte nicht, bitte…“ Herr Difi ging schnaubend auf den Fahrer zu, der in Panik abhaute. Das war vielleicht besser so, denn ein unmenschlicher Zorn, auf den rücksichtslosen Fahrer, hatte ihn gepackt. Überall tauchten Menschen auf. Sie standen wie in einem Freilichtkino und gafften. Keiner half. Eine Szene, die sich so auf der ganzen Welt abspielen konnte. Mein Mann hob den kleinen Körper auf und trug ihn zum Auto. Sunny war stumm, aber hatte geweitete Augen. Wir fuhren zu unserem Tierarzt. Nach einer gründlichen Untersuchung, teilte der Doktor uns mit, dass Sunny ein Riesenglück hatte. Außer Gelenkschmerzen, wird sie nichts haben. Sunny bekam eine Spritze, ich ein Kotzbeutel und wir fuhren dankbar nach Hause.
Den restlichen Tag versuchten wir den Unfall zu rekonstruieren. Es war und blieb ein Wunder. Nicht mal die rechte Hand tat mir weh, die die 1Meter-Leine hielt. Der Gedanke an die Möglichkeit eines Schrittes weiter auf die Straße, ließ wieder Übelkeit aufsteigen. Das Glück ein Timing? Da war nicht ein Schutzengel am Werk, sondern eine ganze Flugschar.
Es war der Moment, wo wir Sunny nicht mehr abgeben wollten. Die Kleine schlief in die neue Zukunft. Fern vom kalten Deutschland, fern von neuen Menschen. Sie gehörte jetzt zur Familie. Unsere Sunny.
Sunny heute, 7 Jahre alt und immer noch Knopfaugen.









3 Kommentare:

  1. Liebe Sunny,

    du warst ein einzigartiger Hund, der ein bewegtes Leben in einer wundervollen Familie, einem tollen Rudel, hatte.

    Heute bist du den Weg über die Regenbogenbrücke gegangen. Auf diesen Weg möchten wir dir noch ein paar Worte mitgeben.

    Wir danken dir für jede stürmische Begrüßung, für jeden herzlichen Blick aus deinen wundervollen Augen, für jedes Schwanzwedeln und jeden Stupser mit der Pfote, wenn wir mal wieder etwas unaufmerksam beim streicheln waren.

    Deine Familie und die Freunde tragen dich im Herzen <3
    Ruhe in Frieden kleine Sunny.

    Die Pokais

    AntwortenLöschen
  2. Wenn die Zeit sich komprimiert und Jahre sich in Sekunden verwandeln, hat man sehr geliebt. Tränen ebnen den Weg ins Nichtvergessen.

    Als wenn man die Sonne ausgeknipst hätte.

    AntwortenLöschen
  3. Sunny.....es ist noch sehr schwer darüber zu reden. Sie ist in meinen Armen gestorben. Sehe sie überall, spüre sie, fühle sie. Fast 7 Jahre war sie meine Begleiterin. Ich konnte nicht mal alleine auf die Toilette gehen. Ging ich mal ohne sie weg, wurde heftig geweint obwohl Herr Difi oder sonst wer da waren. Morgens hüpfte sie am Bett und schlug auf meinen Arm um den Tag einzuleiten. Es fiel mir gar nicht mehr auf..erst als da niemand mehr hüpfte, niemand versuchte mich zu wecken...erst da tat es unheimlich weh.... Eine Freundin ist weg...eine Lücke entstand...

    AntwortenLöschen