Welche Staaten haben die effektivsten Strategien im Umgang mit der Corona-Pandemie gefunden und welche Staatsform ist die stärkste? Eine Antwort in fünf Kapiteln
Neuseeland ist der Corona-Bezwinger, oder dürfen wir sagen: Corona-Meister?
Neuseeland jedenfalls hat inzwischen erklärt, das Virus besiegt zu haben. Das Land atmet wieder frei und arbeitet wieder, bleibt zwar vorsichtig, bleibt gebremst, doch es gibt dort keine Covid-19-Toten mehr und nur noch eine bis zwei Neuinfektionen pro Tag.
21 Tote waren es insgesamt in Neuseeland. Das Land hat es natürlich leichter als Deutschland, da es ein Inselstaat ist mit knapp fünf Millionen Einwohnern, doch Jacinda Ardern, die Premierministerin, führt schon auch gleichermaßen entschlossen wie warmherzig. "Bitte seien Sie stark, freundlich und vereint im Kampf gegen Covid-19", das sagte sie lächelnd und verkündete bereits am 21. März Einreise- und Quarantäne-Maßnahmen und flächendeckende Tests, als es in Neuseeland gerade 52 Infizierte gab.
Neuseeland also, das scheint weltweit vergleichsweise unstrittig zu sein, ist Erster. Und danach? Lässt sich nach vier Monaten Corona-Krise bereits sagen, welche Art von Verhalten gegen das Virus siegt? Und welche Art von Staatsführung und Staatsform?
Eine Antwort in fünf Kapiteln:
1. Empathische Klarheit
In 187 Staaten ist das Virus angekommen, offiziell. Mehr als 4,5 Millionen Infizierte und mehr als 307.000 Tote gibt es bislang weltweit. Dass allein die USA auf weit über ein Viertel der Toten kommen (rund 89.000), obwohl sie nur 4,3 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, sagt uns schnell, wer der monumentalen Aufgabe bislang nicht gewachsen war.
Statistiken erzählen ja eine Menge über Schein und Wirklichkeit, aber nicht alles: Nicht überall sind die Kriterien identisch, nicht überall werden Todesfälle mit unbekannter Ursache gleichermaßen überprüft und/oder festgehalten; Belgien hat auch deshalb so viele Covid-19-Tote zu beklagen, weil es Verdachtsfälle selbst dann mitzählt, wenn es keine Untersuchung gab.
So integer sind nicht alle: Zu dieser Pandemie gehören Dunkelziffern und Vertuschung.
Moskau und, mutmaßlich, ganz Russland haben 2020 zwar deutlich mehr Tote als in anderen Jahren zu beklagen; der Kreml meldet gleichwohl mit routiniertem Stolz niedrige Corona-Zahlen und hat darum, schon klar: "alles unter Kontrolle."
Dennoch lehren der Blick auf Corona-Weltkarten und die Analyse medizinischer und politischer Handlungen fraglos dies: Präzise Analyse von Tests und Daten, flink getroffene und durchgehaltene Entscheidungen, angstfreie, ehrliche Kommunikation, Trauer und Empathie helfen; während Hybris und Ignoranz, das Fehlen von Tests und das Ignorieren von Daten, hektische Kurswechsel, Vertuschungen und Lügen sowie Kälte und Gefühllosigkeit bestraft werden.
Und die Nüchternheit von Technokraten schlägt die Wut der Populisten schon deshalb, weil Populisten meist mit Spaltung arbeiten: Hier sind wir, die Guten, dort sind die Lügner, die Bösen, die Fremden, das ist die Methode von Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro oder von US-Präsident Donald Trump.
Jedoch: Ein Kampf wie dieser verlangt nach Einigkeit.
2. Weibliche und andere Führung
Taiwan und Südkorea, Griechenland, Island, Deutschland und natürlich Neuseeland waren die Länder, die in den ersten Corona-Wochen weltweit beneidet wurden. Weil sie transparent und entschlossen entschieden haben, wie sie aus der Krise herausfinden wollten; und rascher als andere Besserungen erreichten. Südkorea übrigens meldete Ende Januar nahezu zeitgleich mit den USA die ersten Corona-Kranken, begann sofort mit flächendeckenden Tests und damit trennten sich die Wege beider Nationen.
Unter jenen Staaten, die statistisch gut abschnitten, sind viele, deren Regierungschefinnen eben dies sind: Chefinnen. Das Editorial Board der New York Times diagnostizierte, dass "sie an der Herausforderung wuchsen, Entschiedenheit demonstrierten, Mut, Mitgefühl, Respekt vor der Wissenschaft und elementaren Anstand".
Das Fachblatt Foreign Policy urteilt: "Vergesst Washington und Peking. Heute kommt globale Führung aus Berlin." Der wesentliche Grund dafür sei, dass Deutschland dem Rest der Welt mit Expertise und Technologie, aber auch mit Notoperationen helfe: Bis zum 28. April hatte die Bundesrepublik 229 todkranke Patienten (44 aus Italien, 55 aus den Niederlanden, 130 aus Frankreich) inklusive der Behandlungskosten übernommen und 7,5 Tonnen Material, inklusive Beatmungsgeräte, nach Italien geschickt. Weiblich sei an dieser Art von Einsatz, dass die Bundesregierung so etwas einfach tue, aber nicht darüber rede, weshalb es niemand erfahre, nicht einmal solche Italiener, die die Deutschen noch immer egoistisch finden.
Und die Ministerpräsidentinnen Mette Frederiksen (Dänemark), Sanna Marin (Finnland) und Erna Solberg (Norwegen) werden in Umfragen dafür gepriesen, wie schnell sie auf die ersten Anzeichen der Pandemie reagierten.
Zwei Extrembeispiele für unterschiedliche Strategien sind China und Schweden:
In Schweden werden alte Menschen geschützt, während jüngere weiterarbeiten und sich durchaus infizieren sollen, damit 70 Prozent der Bevölkerung für die längst berühmte Herdenimmunität sorgen. In China hingegen, dem Herkunftsland des Virus, wurden wochenlang Städte und Regionen abgeschlossen; eine eiserne Quarantäne wird in jedem einzelnen Verdachtsfall verfügt und überwacht. Aber auch dies ist wahr: Als das Virus in der Provinz Wuhan vermutlich noch hätte gestoppt werden können, warnten Ärzte – und wurden ausgebremst. Danach verschwieg Staatschef Xi Jinping die Wahrheit, die er längst kannte, und sämtliche Nationen der Erde verloren Zeit.
Das schwedische Beispiel lässt sich noch nicht bewerten, es ist zu früh; und das chinesische Beispiel lässt sich noch nicht bewerten, da den Zahlen der Führung in Peking nicht zu trauen ist.
Populistische Regierungen wie die brasilianische oder die amerikanische verkünden mal diesen und mal jenen Kurs, nehmen mal das Virus nicht weiter wahr, möchten dann wieder Schweden und dann doch China sein, je nach Stimmung oder je nach Tagestrend. Das führt dazu, dass die USA bis Ende März zusahen, ehe sie Entscheidungen trafen. Hätten sie zwei Wochen früher Social Distancing, also Abstand halten, angeordnet, wären 90 Prozent der Todesfälle zu verhindern gewesen, so rechnen heute amerikanische Epidemiologen.
Die Johns Hopkins-Universität in Baltimore hatte im Oktober errechnet, dass die USA das weltweit am besten für eine Pandemie vorbereitete Land seien; jetzt sagt dieselbe Universität, die USA erreichten die schlechtesten Ergebnisse.
3. Demokratische Stärke
Wir fragen eine Wissenschaftlerin und zwei Wissenschaftler: Welche Staatsform also ist perfekt gewappnet für den Kampf gegen das Virus?
Nicholas Burns, Politologe an der Kennedy School of Government in Harvard, schreibt per Mail: "Nach vier Monaten dieser Pandemie sehen wir, dass jene Regierungen am stärksten waren, welche die Bedrohung früh erkannten, entschlossene Maßnahmen ergriffen, die Gesellschaft herunterzufahren, und ihre Entscheidungen aufgrund von Daten und Wissenschaft trafen. Beinahe alle von ihnen sind Demokratien: Südkorea, Taiwan, Singapur, Neuseeland und Australien, Israel, und in Europa Deutschland, Österreich, Dänemark." Nur Demokratien nämlich seien offen genug, Autoritäten zu hinterfragen und den eigenen Kurs zu korrigieren, so Burns. "Autoritäre Regime gestehen keine Fehler ein und korrigieren sich selbst dann nicht, wenn es nötig wäre."
"Eindeutig die Demokratien", das sagt auch die Juristin und Publizistin Constanze Stelzenmüller, Senior Fellow der Brookings Institution in Washington, "wenn man sie nicht vor die Hunde gehen lässt. Oder, um Benjamin Franklins Antwort auf Ihre Frage zu zitieren: ‚A Republic, if you can keep it.‘"
Was so viel heißt wie: Die Demokratie ist dann kraftvoll und robust, wenn wir sie zuvor gepflegt haben.
"Ja, natürlich", das sagt schließlich der Politikwissenschaftler und Philosoph Michael Werz, der am Center for American Progress forscht. Die Demokratie "ist das einzige System, das Selbstbestimmung erlaubt und Interessen (zumindest manchmal) so organisiert, dass die verheerendsten Auswirkungen der Konkurrenzökonomie abgemildert werden". Gerade die aktuelle Krise zeige doch, "dass es letztlich auf das Handeln des aufgeklärten Einzelnen ankommt".
Was hingegen in China geschehe, sei "eine archaische Dystopie, und das Gerede von der Effizienz des Autoritarismus ist vollkommen geschichtsblind", so Werz. "Wuhan verbarrikadieren kann jeder, Leute zu überzeugen, sich vernünftig zu verhalten, ist schwieriger – aber es schafft eine bessere Gesellschaft." In autoritären Staaten, "Konkurrenzgesellschaften", wie der Philosoph Werz sagt, "kommt der Kapitalismus – im Hegelschen Sinne – zu sich. Das ist keine Perspektive, die eine sozial oder ökologisch lebenswerte Zukunft erlaubt."
4. Widerstandsfähigkeit
Für ein Endergebnis ist es natürlich zu früh, da eine entscheidende Frage ungeklärt ist: Welcher Staat, welches System wird auch langfristig klug handeln, wird kollektive Disziplin durchhalten, wird darum all die Justierungen und Veränderungen durchstehen, wird die Tage und Wochen der Wiedereröffnung von Schulen, Berufswelt und dem Rest der Gesellschaft gekonnt meistern?
Das können wir noch nicht wissen, da wir so weit noch nicht sind; und prognostizieren lässt es sich schwer, da sich die Aufgabenstellung verändert.
Möglich ist, dass in liberalen Ländern wie Deutschland nach Monaten der Selbstdisziplinierung nun die Ungeduld siegt, mit ihr die Unvernunft, die Dummheit; und dass die Zahlen ausgerechnet mit dem Moment wieder zu steigen beginnen, in dem der Kampf gewonnen schien. Möglich ist es – aber sicher ist auch dies noch nicht.
Verblüffend aber ist, was eine noch laufende Oxford-Studie zu belegen scheint: dass ärmere und in der jüngeren Vergangenheit geplagte Gesellschaften Osteuropas widerstandsfähiger wirken als das reiche Westeuropa. Griechenland oder Kroatien liegen in der mit 17 Indikatoren arbeitenden Strenge-Studie (stringency index) des Oxford COVID-19 Government Response Trackers vor Frankreich, Spanien und sowieso Großbritannien. Das Zauberwort der Studie heißt "resilience", also Resilienz oder Widerstandsfähigkeit. Die Gesellschaften im Osten hielten die Maßnahmen ihrer Regierungen für angemessen und dadurch entstehe zunächst Vertrauen, dann Zusammenspiel.
Und dadurch Zähigkeit.
5. Das Traurige zum Schluss
Wir reden hier über Nationalstaaten, weil Nationalstaaten die Handelnden sind.
Wir reden nicht über G7 oder G20, was schon daran liegt, dass die USA und China zueinander und übereinander derzeit nur Übles zu sagen haben. Wir reden aber auch nicht über die Vereinten Nationen, existiert eigentlich der Sicherheitsrat noch? Über ihre Tochter, die Weltgesundheitsorganisation, reden wir schon, allerdings deshalb, weil die USA der WHO die Finanzierung entziehen.
Wo war Ursula von der Leyens EU, als sich Viktor Orbán in Ungarn zum allmächtigen Herrscher erklärte? Was will Europa jetzt, welchen Kurs?
Es ist eine alte Erkenntnis, dass multilaterale Organisationen nur so stark sind, wie sie sein sollen: Sie setzen sich nun einmal aus ihren Mitgliedern zusammen. Dass diese globale Krise in diesen Wochen tatsächlich von mindestens 187 Nationalstaaten bekämpft wird, einem jeden für sich, das ist keine gute Nachricht für uns alle; und auch nicht für das Weltklima.
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