In Brasilien kommt der verurteilte Expräsident vorübergehend frei –
und im In- und Ausland bejubelt ihn die Linke als letzte Chance. Es
offenbart ihre Hoffnungslosigkeit.
Er wurde als Volksheld empfangen: Luiz Inácio "Lula" da Silva, brasilianischer Präsident der Jahre 2003 bis 2011, trat am Freitagabend aus dem Gefängnis heraus und nahm ein Bad in der Menge. Er stolperte, nach 580 Tagen Haft, noch etwas ungelenk, in der Freiheit herum und hielt eine flammende Rede. Lulas Mitarbeiter veröffentlichten in den sozialen Medien ein freches Kurzfilmchen, das Lula beim Krafttraining zeigt und mit der Musik des Boxer-Comebackfilms Rocky unterlegt worden ist. Die Botschaft lautet: Der große Arbeiterführer ist wieder da, er wird die Linke des Landes wiederbeleben. Er wird die Dominanz des heute regierenden rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro brechen und dessen immer offener ausgelebten Fantasien nach einer Wiederbelebung autoritärer dunkler Zeiten ein Ende bereiten.
Der ganze Jubel ist wohl verständlich: Natürlich feiern Lulas Anhänger ihren Helden, nachdem sie ihn anderthalb Jahre lang als Märtyrer behandelt haben, "Lula Livre"-Slogans ("Befreit Lula!") auf T-Shirts drucken ließen und eine rührende Mahnwache gegenüber dem Gefängnis installierten, die jeden Morgen "Guten Morgen, Herr Präsident!" von der Straße hoch in seine Zelle wünschten. Aber diese ganze Euphorie, die seit gestern die Parteichefs der Arbeiterpartei PT und anderer linker Parteien zum Ausdruck bringen, die ganzen Glückwunschbotschaften linker Staatschefs aus der Region und sogar vom Labour-Chef Jeremy Corbyn aus Großbritannien? Sie zeigt auch, dass der charismatische 74-jährige Lula da Silva so eine Art letzte Hoffnung der Linken ist, und das ist ein Riesenproblem.
Die Entscheidung des obersten Gerichts ist im Land aber ausgesprochen umstritten, und zu Recht: In den vergangenen Jahren hatten eifrige Staatsanwälte und ein entschlossener Richter namens Sergio Moro eine nie gekannte Fülle von Korruptionsverfahren in Brasilien begonnen und hunderte Politiker und Konzernchefs in Gefängnisse geschickt. Das hatte bisher nie jemand für möglich gehalten, und Sergio Moro ("Niemand steht über dem Gesetz!") wurde in Teilen der Bevölkerung zum Volkshelden. Die Brasilianer leiden sehr unter der grassierenden Korruption im Land. In den vergangenen Jahren, in denen es der Wirtschaft schlecht ging und viele Normalbürger ihre Jobs und ihre Sicherheit verloren, wurde die Selbstbereicherung der Eliten unerträglich.
Sehr viele der Inhaftierten werden wegen der neuen Regelung jetzt wieder frei herumlaufen, nicht nur der Volksheld Lula. Sie werden sich teure Anwälte leisten, in langwierige Berufungsverfahren gehen, aus kleinen richterlichen Fehlern große Verfahrensfehler machen – in Brasilien ein altes Spiel.
Der Fall Lula wird das Land dabei ganz besonders spalten. Der Ex-Präsident, der jetzt wieder so kämpferisch auftritt, hatte in seiner Amtszeit eine der schlimmsten Phasen der brasilianischen Korruption politisch zu verantworten. Für viele Brasilianer ist er damit zum Inbegriff der Korruption geworden, zumal politisch interessierte, große brasilianische Medien wie das TV- und Pressehaus Globo alles dafür taten, dieses Bild zu verfestigen.
Da Silvas wirklicher Sieg vor Gericht müsste also ein anderer sein: ein Freispruch oder zumindest ein Wiederaufrollen dieses offenkundig korrupt verlaufenen Verfahrens. Das kann in den kommenden Monaten noch passieren. Auch viele andere Verurteilte in den Korruptionsverfahren werden ihre Verfahren jetzt – in Freiheit – wieder neu aufrollen. Die ganze Welle der Korruptionsbekämpfung in Brasilien muss als vorläufig gescheitert gelten, eine Katastrophe für das Land, das Vertrauen der Menschen in ihre Rechtsordnung und für jene Investoren in der Wirtschaft, die sich nicht an schmutzigen Spielen beteiligen wollen. Das ist allerdings die Schuld des unsauber operierenden Exrichters Moro und seiner Leute gewesen – nicht die von Lula da Silva.
Obwohl vorverurteilt und angeschlagen: In den kommenden Wochen und Monaten wird Lulas Plan wohl aufgehen, dass er wieder als Volkstribun auftritt und die Linke mobilisiert und zusammenschweißt. "Lulas Rache": das wird einige Zeit lang ziehen. Die Frage ist allerdings, wie es da Silva nochmal gelingen soll, seine alte Magie der frühen Nullerjahre wiederzubeleben: ein politisch tief gespaltenes Land wieder zu befrieden, in dem sich Links und Rechts eigentlich bloß noch anschreien oder auf der Straße oder in Talkshows handgreiflich aufeinander zugehen. In seiner Amtszeit ab 2003 gelang Lula das, was einen Teil der Sehnsucht seiner Leute nach ihm erklärt: Er gab sich als Linker, der große Sozialprogramme auflegte, aber zugleich auch als Genosse der Bosse, er konnte mit allen Seiten reden und es im damaligen Wirtschaftsboom sogar Vielen Recht machen. Es gab genug zu verteilen. Jetzt befeuert Lula seine eigenen Leute, die Opposition, aber bei den restliche Brasilianern ist er verhasst, eine polarisierende Figur, ein verurteilter Korrupter, der wegen einer knappen und umstrittenen Gerichtsentscheidung wieder frei herumlaufen darf.
Er wurde als Volksheld empfangen: Luiz Inácio "Lula" da Silva, brasilianischer Präsident der Jahre 2003 bis 2011, trat am Freitagabend aus dem Gefängnis heraus und nahm ein Bad in der Menge. Er stolperte, nach 580 Tagen Haft, noch etwas ungelenk, in der Freiheit herum und hielt eine flammende Rede. Lulas Mitarbeiter veröffentlichten in den sozialen Medien ein freches Kurzfilmchen, das Lula beim Krafttraining zeigt und mit der Musik des Boxer-Comebackfilms Rocky unterlegt worden ist. Die Botschaft lautet: Der große Arbeiterführer ist wieder da, er wird die Linke des Landes wiederbeleben. Er wird die Dominanz des heute regierenden rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro brechen und dessen immer offener ausgelebten Fantasien nach einer Wiederbelebung autoritärer dunkler Zeiten ein Ende bereiten.
Der ganze Jubel ist wohl verständlich: Natürlich feiern Lulas Anhänger ihren Helden, nachdem sie ihn anderthalb Jahre lang als Märtyrer behandelt haben, "Lula Livre"-Slogans ("Befreit Lula!") auf T-Shirts drucken ließen und eine rührende Mahnwache gegenüber dem Gefängnis installierten, die jeden Morgen "Guten Morgen, Herr Präsident!" von der Straße hoch in seine Zelle wünschten. Aber diese ganze Euphorie, die seit gestern die Parteichefs der Arbeiterpartei PT und anderer linker Parteien zum Ausdruck bringen, die ganzen Glückwunschbotschaften linker Staatschefs aus der Region und sogar vom Labour-Chef Jeremy Corbyn aus Großbritannien? Sie zeigt auch, dass der charismatische 74-jährige Lula da Silva so eine Art letzte Hoffnung der Linken ist, und das ist ein Riesenproblem.
Wirklich frei ist Lula noch nicht
Zum einen, weil da Silva gar nicht wirklich freigelassen ist. Er profitiert von einer Regelung, die das höchste Gericht des Landes diese Woche in einer knappen Entscheidung erlassen hat: Man darf nicht ins Gefängnis gesteckt werden, bevor man nicht alle Rechtsmittel hat ausschöpfen können. Gegen da Silva laufen mehrere Verfahren, die sich um Korruptionsvorwürfe drehen, und in Haft war er seit 2018 wegen eines dieser Verfahren, in dem er bereits von zwei Instanzen für schuldig erklärt worden war. Jetzt ist er vorübergehend frei, bis seine Berufungsmöglichkeiten erschöpft sind.Die Entscheidung des obersten Gerichts ist im Land aber ausgesprochen umstritten, und zu Recht: In den vergangenen Jahren hatten eifrige Staatsanwälte und ein entschlossener Richter namens Sergio Moro eine nie gekannte Fülle von Korruptionsverfahren in Brasilien begonnen und hunderte Politiker und Konzernchefs in Gefängnisse geschickt. Das hatte bisher nie jemand für möglich gehalten, und Sergio Moro ("Niemand steht über dem Gesetz!") wurde in Teilen der Bevölkerung zum Volkshelden. Die Brasilianer leiden sehr unter der grassierenden Korruption im Land. In den vergangenen Jahren, in denen es der Wirtschaft schlecht ging und viele Normalbürger ihre Jobs und ihre Sicherheit verloren, wurde die Selbstbereicherung der Eliten unerträglich.
Sehr viele der Inhaftierten werden wegen der neuen Regelung jetzt wieder frei herumlaufen, nicht nur der Volksheld Lula. Sie werden sich teure Anwälte leisten, in langwierige Berufungsverfahren gehen, aus kleinen richterlichen Fehlern große Verfahrensfehler machen – in Brasilien ein altes Spiel.
Der Fall Lula wird das Land dabei ganz besonders spalten. Der Ex-Präsident, der jetzt wieder so kämpferisch auftritt, hatte in seiner Amtszeit eine der schlimmsten Phasen der brasilianischen Korruption politisch zu verantworten. Für viele Brasilianer ist er damit zum Inbegriff der Korruption geworden, zumal politisch interessierte, große brasilianische Medien wie das TV- und Pressehaus Globo alles dafür taten, dieses Bild zu verfestigen.
Kaum Vertrauen mehr in den Rechtsstaat
Es gibt aber kaum Anzeichen dafür, dass sich Lula da Silva persönlich bereichert hat. Das auffällig eilig abgewickelte Verfahren, in dem der Richter Moro ihn 2018 ins Gefängnis brachte, ist inzwischen weithin diskreditiert – als politisch motivierte Farce. Man weiß das unter anderem, weil eine Hackergruppe der US-finanzierten Onlinepublikation The Intercept illegale Mitschnitte der Konversationen unter den Richtern und Staatsanwälten zugespielt hatte. Sie zeigten ein erschreckendes Bild von Eiferertum, sowie Hinweise auf taktisch und politisch motivierte Rechtsbeugung. Weil Lula in Haft war, konnte er 2018 nicht erneut zur Wahl antreten, obwohl er bis dahin in den Umfragen weit vorn gelegen hatte. Deshalb gewann der rechtsextreme Jair Bolsonaro, ein früherer Hauptmann, der von der alten Militärdiktatur schwärmt. Bolsonaro machte den Richter Moro zu seinem Justizminister und lobte ihn erst diese Woche noch: weil er unter anderem dem Richter seine heutige Position verdanke.Da Silvas wirklicher Sieg vor Gericht müsste also ein anderer sein: ein Freispruch oder zumindest ein Wiederaufrollen dieses offenkundig korrupt verlaufenen Verfahrens. Das kann in den kommenden Monaten noch passieren. Auch viele andere Verurteilte in den Korruptionsverfahren werden ihre Verfahren jetzt – in Freiheit – wieder neu aufrollen. Die ganze Welle der Korruptionsbekämpfung in Brasilien muss als vorläufig gescheitert gelten, eine Katastrophe für das Land, das Vertrauen der Menschen in ihre Rechtsordnung und für jene Investoren in der Wirtschaft, die sich nicht an schmutzigen Spielen beteiligen wollen. Das ist allerdings die Schuld des unsauber operierenden Exrichters Moro und seiner Leute gewesen – nicht die von Lula da Silva.
Ein Volkstribun wie eh und je
Der ist eher an etwas anderem Schuld: dass die Linke außer ihm offenbar keinen anderen hat. Der große Charismatiker Lula hat es, wie viele Führungskräfte mit Riesenegos, versäumt, Nachfolger aufzubauen. Der zweite Mann und Lula-Ersatzkandidat in seiner Partei, der frühere Bürgermeister von São Paulo Fernando Haddad, ist ein sympathischer, vernünftiger und freundlicher Lehrertyp, dem gegen den Rechtspopulisten Bolsonaro noch kein einziger Schlag gelungen ist. Zur engeren Parteiriege um da Silva gehören etliche ewiggestrige Altlinke, die sich zum Beispiel störrisch mit den Linksdiktaturen der Region in Venezuela und Kuba solidarisch erklären und den Kontakt zur Basis kaum noch pflegen. Die Zusammenarbeit mit Hoffnungsträgern in anderen Linksparteien ist sporadisch, einige Verhältnisse sind dort tief zerrüttet. Dafür trägt Lula viel Verantwortung.Obwohl vorverurteilt und angeschlagen: In den kommenden Wochen und Monaten wird Lulas Plan wohl aufgehen, dass er wieder als Volkstribun auftritt und die Linke mobilisiert und zusammenschweißt. "Lulas Rache": das wird einige Zeit lang ziehen. Die Frage ist allerdings, wie es da Silva nochmal gelingen soll, seine alte Magie der frühen Nullerjahre wiederzubeleben: ein politisch tief gespaltenes Land wieder zu befrieden, in dem sich Links und Rechts eigentlich bloß noch anschreien oder auf der Straße oder in Talkshows handgreiflich aufeinander zugehen. In seiner Amtszeit ab 2003 gelang Lula das, was einen Teil der Sehnsucht seiner Leute nach ihm erklärt: Er gab sich als Linker, der große Sozialprogramme auflegte, aber zugleich auch als Genosse der Bosse, er konnte mit allen Seiten reden und es im damaligen Wirtschaftsboom sogar Vielen Recht machen. Es gab genug zu verteilen. Jetzt befeuert Lula seine eigenen Leute, die Opposition, aber bei den restliche Brasilianern ist er verhasst, eine polarisierende Figur, ein verurteilter Korrupter, der wegen einer knappen und umstrittenen Gerichtsentscheidung wieder frei herumlaufen darf.
Und die Rechte wird darauf
reagieren. Die Gefahr ist groß, dass der autoritär denkende Bolsonaro
jetzt das oberste Gericht schwächen wird – das hat er schon angedeutet.
Militärs aus seinem Umfeld hatten mehrfach angedeutet, dass man sich
eine Freilassung Lulas nicht gefallen lassen werde. Kann sein, dass
dieser vorübergehende Sieg Lula da Silvas jetzt in Brasilien erst recht
sehr dunkle Kräfte freisetzt.
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