Das hat mirso gut gefallen der Artikel, dass ich ihn rein stelle in meinen Blog.
Inkompetenz an der Macht, Verschwörungstheorien und Wunderheilmittel: Wie die Corona-Pandemie den Amerikanern zeigt, dass sie einem korrupten Regime ausgeliefert sind.
Als das Virus in den USA eintraf, fand es ein Land mit schweren Vorerkrankungen vor und nutzte sie skrupellos aus. Chronische Leiden – eine korrupte politische Klasse, eine erstarrte Bürokratie, eine herzlose Wirtschaft, eine gespaltene, abgelenkte Bevölkerung – waren seit Jahren nicht behandelt worden. Wir hatten uns damit abgefunden, mit den Symptomen – wenn auch nicht gut – zu leben. Wie schwerwiegend sie waren, das offenbarte sich erst durch das Ausmaß und die direkte Erfahrung einer Pandemie. Sie erschütterte die Amerikaner mit der Erkenntnis, dass wir zur Hochrisikogruppe gehören.
Die Krise erforderte rasches, rationales, gemeinsames Handeln. Stattdessen reagierten die Vereinigten Staaten wie Pakistan oder Weißrussland – wie ein Land mit minderwertiger Infrastruktur und einer dysfunktionalen Regierung, deren Chefs zu korrupt oder zu dumm waren, um massenhaftes Leid abzuwenden. Die US-Regierung vergeudete zwei unwiederbringliche Monate, die sie zur Vorbereitung hätte nutzen können. Der Präsident zeichnete sich durch vorsätzliche Blindheit, Schuldzuweisungen, Prahlereien und Lügen aus, seine Sprachrohre verbreiteten Verschwörungstheorien und Wunderheilmittel. Einige Senatoren und Unternehmungsführungen handelten schnell – allerdings nicht, um die bevorstehende Katastrophe zu verhindern, sondern um von ihr zu profitieren. Als ein Arzt der Regierung die Bevölkerung vor der Gefahr warnen wollte, griff sich das Weiße Haus das Mikrofon und politisierte die Botschaft.
Den ganzen schier endlosen März über stellten die Amerikaner jeden Morgen beim Aufwachen fest, dass sie in einem gescheiterten Staat lebten. Da es keinen nationalen Plan, keine einheitlichen Anweisungen gab, mussten Familien, Schulen und Büros selbst entscheiden, ob sie einen Shutdown durchführen und Schutz suchen sollten. Als sich herausstellte, dass Tests, Masken, Kittel und Beatmungsgeräte knapp waren, baten Gouverneure das Weiße Haus um Hilfe. Dieses jedoch zauderte und wandte sich dann an die Wirtschaft, die aber nicht liefern konnte. Bundesstaaten und Städten wurde ein Bieterwettkampf aufgezwungen, der sie zur leichten Beute von Wucher und Profitgier machte. Die Bürger holten die Nähmaschinen heraus und versuchten, das unzureichend ausgerüstete Krankenhauspersonal gesund und dessen Patienten am Leben zu halten. Russland, Taiwan und die Vereinten Nationen schickten humanitäre Hilfe ins reichste Land der Welt – in eine Bettlernation im heillosen Chaos.
Donald Trump betrachtete die Krise nahezu ausschließlich aus persönlicher und politischer Perspektive. Aus Angst um seine Wiederwahl erklärte er die Corona-Pandemie zum Krieg und sich selbst zum Kriegspräsidenten. Doch der politische Führer, an den er dabei erinnerte, war Philippe Pétain, der französische General, der 1940 einen Waffenstillstand mit Deutschland schloss, nachdem dieses die französischen Verteidigungstruppen vernichtend geschlagen hatte. Im Anschluss daran bildete er das pronazistische Vichy-Regime. Wie Pétain kollaborierte auch Trump mit dem Eindringling und lieferte sein Land einer anhaltenden Katastrophe aus. Und wie Frankreich 1940 steuerte Amerika 2020 auf einen Zusammenbruch zu, bei dem es um so viel mehr ging als um einen einzigen miserablen Politiker an der Spitze. Im Rückblick wird man den Umgang mit der Pandemie vielleicht als Seltsame Niederlage beschreiben, nach dem Buch L’Étrange Défaite des Historikers und Résistance-Kämpfers Marc Bloch, in dem dieser den Fall Frankreich analysiert.
Trotz zahlloser Beispiele für Mut und Opferbereitschaft von Menschen überall in den USA handelt es sich um ein Scheitern auf nationaler Ebene. Und dies sollte eine Frage aufwerfen, die die meisten Amerikaner sich nie stellen mussten: Haben wir das nötige Vertrauen zu unserer politischen Führung und zueinander, um gemeinsam gegen eine tödliche Bedrohung vorzugehen? Können wir uns noch selbst regieren?
Dies ist die dritte große Krise im noch jungen 21. Jahrhundert. Die erste, die sich am 11. September 2001 ereignete, kam zu einer Zeit, als die Amerikaner gedanklich noch im vorigen Jahrhundert lebten und Wirtschaftskrise, Weltkrieg und Kalter Krieg in der Erinnerung noch sehr präsent waren. Damals betrachteten die Menschen im ländlichen Kernland New York noch nicht als fremdartige Ansammlung von Einwanderern und Liberalen, die ihr Schicksal verdient hatten, sondern als großartige amerikanische Stadt, die im Namen des ganzen Landes einen schweren Schlag erlitten hatte. Feuerwehrleute aus Indiana legten über 1.200 Kilometer zurück, um sich an den Rettungsmaßnahmen am Ground Zero zu beteiligen. Unsere spontane Reaktion als Bürger bestand darin, zu trauern und uns gemeinsam stark zu machen.
Durch parteipolitisches Kalkül und katastrophale politische Entscheidungen, insbesondere zum Irakkrieg, wurde das Gefühl der nationalen Einheit ausgelöscht und eine Verbitterung gegenüber der politischen Klasse gefördert, die nie ganz abgeklungen ist. Durch die zweite Krise – den Zusammenbruch des Finanzsystems im Jahr 2008 – wurde sie noch verstärkt. Von ganz oben konnte man es fast als Erfolg betrachten. Der US-Kongress verabschiedete ein von Republikanern und Demokraten unterstütztes Bail-out-Gesetz, mit dem das Finanzsystem gerettet wurde. Mitglieder der scheidenden Regierung Bush arbeiteten mit Mitgliedern der nachfolgenden Regierung Obama zusammen. Die Experten von US-Notenbank und US-Finanzministerium setzten geld- und finanzpolitische Maßnahmen um, um eine zweite Weltwirtschaftskrise zu verhindern. Die verantwortlichen Spitzenbanker wurden öffentlich angeprangert, aber nicht strafrechtlich verfolgt. Die meisten konnten ihr Vermögen behalten, einige auch ihre Stelle. Schon bald waren sie wieder voll dabei. Laut einem Wall-Street-Händler, mit dem ich sprach, war die Finanzkrise lediglich ein Dämpfer gewesen.
All das dauerhafte Leid bekamen Amerikaner in der Mitte und am unteren Rand der Gesellschaft zu spüren. Sie verloren ihre Arbeit, ihr Zuhause und ihre Altersvorsorge. Viele erholten sich nie davon wieder. Junge Menschen, die während der Großen Rezession erwachsen wurden, sind dazu verdammt, ärmer zu sein als ihre Eltern. Die Ungleichheit – die das Leben in Amerika seit Ende der 1970er Jahre so grundlegend und erbarmungslos prägt – verschärfte sich weiter.
Diese zweite Krise trieb einen tiefen Keil zwischen die Amerikaner: zwischen Ober- und Unterschicht, Republikaner und Demokraten, Städter und Landbewohner, gebürtige Amerikaner und Einwanderer, gewöhnliche Bürger und politische Führungskräfte. Schon seit Jahrzehnten waren die sozialen Bindungen einer immer stärkeren Belastung ausgesetzt, und nun begannen sie sich aufzulösen. Die Reformen aus der Regierungszeit Obamas, so wichtig sie waren – in den Bereichen Gesundheitswesen, Regulierung des Finanzsektors, erneuerbare Energie, hatten lediglich eine palliative Wirkung. Durch den langen Wiederaufschwung im vergangenen Jahrzehnt wurden Unternehmen und Investoren reich, die gebildete Mittelschicht in Sicherheit gewiegt und die Arbeiterschicht noch weiter abgehängt. Nachhaltige Auswirkungen der lahmenden Konjunktur waren eine zunehmende Polarisierung und eine Diskreditierung der Obrigkeit, besonders in Bezug auf die Regierung.
Beide Parteien begriffen erst langsam, wie stark sie an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatten. Politik würde von nun an populistisch sein. Die Vorreiterin dieser Entwicklung war Sarah Palin, die absurd unvorbereitete Vizepräsidentschaftskandidatin, die für Fachwissen nur Verachtung übrig hatte und sich am Prominentsein berauschte. Sie war Donald Trumps Johannes der Täufer.
Trumps Sieg war eine Verschmähung des republikanischen Establishments. Doch schon bald wurden sich die konservative politische Klasse und der neue Mann an der Spitze einig. Ungeachtet ihrer Meinungsverschiedenheiten bei Themen wie Handel und Zuwanderung verfolgten sie ein gemeinsames Ziel: öffentliche Finanzen und Vermögen zugunsten privater Interessen auszubeuten. Geldgeber und Politiker der Republikaner, die wollten, dass die Regierung so wenig wie möglich für das Gemeinwohl tat, konnten gut mit einer Führung leben, die vom Regieren kaum eine Ahnung hatte. Und sie machten sich zu Trumps Lakaien.
Wie ein ungezogener Junge, der brennende Streichhölzer auf eine ausgetrocknete Wiese wirft, begann Trump, das zu opfern, was vom staatsbürgerlichen Leben im Lande noch übrig war. Er hat nie auch nur so getan, als wäre er der Präsident des ganzen Landes. Stattdessen hat er uns entlang der Grenzen von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Religion, Bildungsgrad, Region und – spürbar an jedem Tag seiner Präsidentschaft – parteipolitischer Präferenz gegeneinander ausgespielt. Sein wichtigstes Werkzeug beim Regieren war die Lüge. Ein Drittel des Landes schloss sich in einem Spiegelkabinett ein, das es für die Realität hielt. Ein Drittel verlor bei dem Versuch, an der Vorstellung einer erfassbaren Wahrheit festzuhalten, fast den Verstand; und ein Drittel gab sogar diesen Versuch auf.
Trump übernahm eine Regierung, die nach jahrelangen rechtsgerichteten ideologischen Angriffen, Politisierung durch beide Parteien und stetigem Zusammenstreichen der Mittel gelähmt war. Er machte sich daran, die Sache zu Ende zu bringen und den Staatsapparat vollends zu zerstören. Er verjagte einige der erfahrensten Beamten, ließ entscheidende Stellen unbesetzt und setzte den eingeschüchterten Überlebenden loyale Anhänger vor die Nase – mit einem einzigen Ziel: seinen eigenen Interessen zu dienen. Durch seine legislative Hauptleistung, eine der größten Steuersenkungen in der Geschichte des Landes, flossen Unternehmen und Reichen Hunderte Milliarden Dollar zu. Die Nutznießer strömten in Scharen in seine Ferienanlagen und ließen ihm Geld zukommen, um seine Wiederwahl zu sichern. War Lügen sein Mittel bei der Machtausübung, so war Korruption sein Zweck.
Das war die Landschaft, die das Virus in den USA vorfand: In reichen Städten eine Schicht weltweit vernetzter, in Büros arbeitender Menschen, angewiesen auf eine prekäre Klasse unsichtbarer Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich. Auf dem Land zugrunde gehende Gemeinden, die sich gegen die moderne Welt auflehnten. In den sozialen Medien gegenseitiger Hass und endlose Beschimpfungen der verschiedenen Lager. In der Wirtschaft trotz Vollbeschäftigung eine große, wachsende Kluft zwischen triumphierendem Kapital und Not leidenden Arbeitern. In Washington eine leere Regierung unter Führung eines Hochstaplers und seiner geistig bankrotten Partei – und im ganzen Land eine von Zynismus und Erschöpfung geprägte Stimmung, ohne jegliche Vision einer gemeinsamen Identität oder Zukunft.
Wenn es sich bei der Pandemie tatsächlich um eine Art Krieg handelt, dann ist es der erste, der seit anderthalb Jahrhunderten auf diesem Boden ausgetragen wird. Invasion und Besetzung bringen die Bruchlinien einer Gesellschaft zum Vorschein und verstärken das, was in Friedenszeiten unbemerkt bleibt oder hingenommen wird. Sie verdeutlichen grundlegende Wahrheiten und lassen aus der Tiefe den Gestank von Verwesung aufsteigen.
Eigentlich hätte das Virus bewirken müssen, dass sich die Amerikaner gegen die gemeinsame Bedrohung zusammenschließen. Und vielleicht wäre das unter einer anderen politischen Führung auch passiert. Stattdessen teilte sich die öffentliche Meinung entlang der bekannten parteipolitischen Fronten, als das Virus sich von Demokraten- auf Republikaner-Terrain ausbreitete. Auch hätte das Virus ein starker Gleichmacher sein müssen, doch von Anfang an wurden seine Auswirkungen durch die Ungleichheit verzerrt, die wir schon so lange hinnehmen. Als keine Tests für das Virus aufzutreiben waren, gelang es den Reichen und gut Vernetzten – Model und Reality-TV-Moderatorin Heidi Klum, sämtlichen Spielern der Basketball-Mannschaft Brooklyn Nets, den konservativen Verbündeten des Präsidenten – irgendwie dennoch, sich testen zu lassen – und das, obwohl viele von ihnen gar keine Symptome hatten. Diese vereinzelten Test-Ergebnisse trugen nicht zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bei. Zur gleichen Zeit mussten normale Bürger mit Fieber und Schüttelfrost in langen, möglicherweise ansteckungsgefährlichen Schlangen warten – um dann abgewiesen zu werden, weil sie nicht zu Ersticken drohten. Im Internet kursierte der Witz, man könne nur auf eine Weise herausfinden, ob man an dem Virus erkrankt sei: indem man einem reichen Menschen ins Gesicht niese.
Auf diese himmelschreiende Ungerechtigkeit angesprochen, brachte Trump seine Missbilligung zum Ausdruck, fügte jedoch hinzu: "Vielleicht ist das im Leben immer so gewesen." In normalen Zeiten fällt den meisten Amerikanern diese Art Privileg kaum auf, doch in den ersten Wochen der Pandemie löste sie Empörung aus – so als dürften sich die Reichen während einer allgemeinen Mobilmachung aus dem Militärdienst freikaufen und Gasmasken horten. Die Wahrscheinlichkeit, dem Virus zum Opfer zu fallen, ist für arme Menschen sowie Menschen dunklerer Hautfarbe ungleich größer. Die krasse Ungleichheit unseres Gesundheitssystems trat angesichts der Leichen-Kühlwagen deutlich zutage, die vor staatlichen Krankenhäusern warteten.
Bei uns gibt es jetzt zwei Arten von Arbeit: unverzichtbare und verzichtbare. Und wer sind die Arbeitskräfte, die sich als unverzichtbar erwiesen haben? Größtenteils Menschen in schlecht bezahlten Berufen, in denen sie vor Ort sein müssen und dabei ihre Gesundheit unmittelbar aufs Spiel setzen: Lagerarbeiter, Regalauffüller, Mitarbeiter von Lebensmittel-Lieferdiensten, Auslieferungsfahrer, Angestellte der Gemeinden, Krankenhauspersonal, Haushalts- und Pflegehelfer, Fernfahrer. Ärzte und Pflegekräfte sind die Helden der Schlacht gegen die Pandemie, doch die Kassiererin im Supermarkt mit ihrem Desinfektionsmittel und der UPS-Fahrer mit seinen Latex-Handschuhen sind die Logistiktruppe, die die Frontkämpfer versorgen. In einer Smartphone-Wirtschaft, in der ganze Bevölkerungsgruppen unseren Augen verborgen sind, erfahren wir nun, wo unser Essen und unsere Güter herkommen, wer uns am Leben hält. Dass bei AmazonFresh bestellter junger Rucola billig ist und am nächsten Tag geliefert wird, liegt unter anderem daran, dass die Menschen, die ihn anpflanzen, sortieren, verpacken und ausliefern, auch im Krankheitsfall weiterarbeiten müssen. Für die meisten Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich sind bezahlte Krankentage ein völlig unerreichbarer Luxus. Sollten wir uns nicht fragen, ob wir einen höheren Preis und längere Lieferzeiten in Kauf nehmen sollten, damit diese Arbeiter im Krankheitsfall zu Hause bleiben könnten?
Durch die Pandemie wurde auch klar, was verzichtbare Arbeitskräfte sind. Ein Beispiel hierfür wäre etwa Kelly Loeffler, die republikanische Junior-Senatorin von Georgia, die sich einzig und allein durch ihren immensen Reichtum für den unbesetzten Posten qualifizierte, den sie im Januar erhielt. Nicht einmal drei Wochen später wurde sie nach einem düsteren privaten Briefing zum Virus noch reicher, weil sie Aktien verkaufte. Dann warf sie den Demokraten vor, sie würden die Gefahr aufbauschen, und beschwichtigte ihre Wähler mit falschen Beteuerungen, die diese durchaus das Leben gekostet haben können. Loefflers Ausübung ihres Amtes ist von Antrieben geprägt, die an einen gefährlichen Parasiten erinnern. In einem Staatswesen, in dem so eine Person ein so hohes Amt erhält, ist der Zerfall schon ziemlich weit fortgeschritten.
Am unverfälschtesten verkörpert den politischen Nihilismus nicht Trump selbst, sondern sein Schwiegersohn und Berater Jared Kushner. In seinem noch jungen Leben wurde Kushner bereits fälschlicherweise sowohl als Meritokrat als auch als Populist gepriesen. 1981 kam er in einer wohlhabenden Familie mit Immobilienimperium zur Welt – genau in dem Monat, in dem Ronald Reagan das Präsidentenamt antrat. Kushner ist ein Prinzling des zweiten Gilded Age ("Vergoldeten Zeitalters"). Trotz seiner mäßigen schulischen Leistungen bekam er einen Studienplatz in Harvard, nachdem sein Vater Charles der Universität eine Spende in Höhe von 2,5 Millionen US-Dollar zugesagt hatte. Dieser half seinem Sohn auch beim Einstieg in das Familienunternehmen mit Darlehen in Höhe von zehn Millionen Dollar. Später setzte Kushner seine elitäre Ausbildung an der New York University in den Bereichen Jura und Betriebswirtschaft fort. Sein Vater hatte der Hochschule drei Millionen Dollar zukommen lassen.
2005 revanchierte sich Kushner mit unerschütterlicher Loyalität, als Charles Kushner zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er versucht haben soll, einen Rechtsstreit in der Familie beizulegen, indem er den Mann seiner Schwester mit einer Prostituierten in die Falle lockte und das Ganze filmte.
Jared Kushner ist als Wolkenkratzer-Besitzer und als Zeitungsverleger gescheitert, hat aber immer jemanden gefunden, der ihn rettete. Sein Selbstbewusstsein wuchs dabei sogar noch. In American Oligarchs schildert Andrea Bernstein, wie er sich die Einstellung eines risikofreudigen Unternehmers zu eigen machte, eines "Disruptors" der New Economy. Unter dem Einfluss seines Mentors Rupert Murdoch fand er Mittel und Wege, finanzielle, politische und journalistische Betätigung miteinander zu verknüpfen. Interessenkonflikte machte er zu seinem Geschäftsmodell.
Als sein Schwiegervater Präsident wurde, erlangte Kushner schnell Macht in einer Regierung, die Dilettantismus, Vetternwirtschaft und Korruption zu Leitprinzipien erhob. Solange er sich nur mit dem Frieden im Nahen Osten befasste, konnte den meisten Amerikanern sein überflüssiges Hineinpfuschen egal sein. Doch seit er ein einflussreicher Berater des Präsidenten in der Coronavirus-Pandemie ist, ist das Resultat ein Massensterben.
In der ersten Woche in dieser neuen Funktion war Kushner Mitverfasser der schlechtesten Oval-Office-Rede, an die man sich erinnert, unterbrach die wichtige Arbeit anderer Amtsträger, verletzte das Sicherheitsprotokoll, liebäugelte mit Interessenkonflikten und Verstößen gegen US-Bundesrecht und machte törichte Versprechungen, die sich schon kurz darauf in nichts auflösten. "Die US-Regierung ist nicht dafür da, all unsere Probleme zu lösen", sagte er und erklärte, er werde seine wirtschaftlichen Beziehungen nutzen, um Drive-through-Teststationen zu schaffen. Dazu kam es nie. Unternehmensleitungen überzeugten ihn davon, dass Trump seine Macht als Präsident nicht dafür nutzen sollte, die Industrie zur Produktion von Beatmungsgeräten zu bewegen. Dann scheiterte Kushners Versuch, eine Vereinbarung mit General Motors auszuhandeln. Sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wurde dadurch jedoch nicht geschmälert: Er machte inkompetente Gouverneure für den Mangel der benötigten Ausrüstung und Schutzkleidung verantwortlich.
Das Hereinschneien dieses blassen Dilettanten im knapp sitzenden Anzug mitten in eine tödliche Krise signalisiert den Zusammenbruch eines ganzen Regierungsmodus – mag Kushner auch noch so mit Ausdrücken aus dem BWL-Studium um sich werfen, um das eklatante Versagen der Regierung seines Schwiegervaters zu verschleiern. Wie sich zeigt, sind wissenschaftliche Sachverständige und andere Staatsbeamte keine verräterischen Mitglieder eines deep state, sondern unverzichtbare Arbeitskräfte. Werden sie zugunsten von Ideologen und Hofierern ausgegrenzt, gefährdet das die Gesundheit der Bevölkerung. Wie sich zeigt, sind agile Unternehmen nicht in der Lage, sich auf eine Katastrophe vorzubereiten oder lebensrettende Güter zu verteilen – das schafft nur eine kompetente Regierung. Wie sich zeigt, hat alles seinen Preis, und die jahrelangen Attacken auf den Staatsapparat, der ausgehöhlt und in seiner Moral geschwächt wurde, bezahlt die Bevölkerung nun mit Menschenleben. All die Programme, deren Finanzierung gestrichen wurde, die aufgebrauchten Vorräte und aufgegebenen Pläne hatten dazu geführt, dass wir zu einer Nation zweiten Ranges geworden waren. Dann kamen das Virus und die seltsame Niederlage.
Der Kampf zur Bewältigung der Pandemie muss auch ein Kampf dafür sein, dass die Gesundheit unseres Landes wiederhergestellt und es neu aufgebaut wird. Andernfalls können wir all das Elend und das Leid, das wir jetzt ertragen müssen, niemals wieder gutmachen. Unter der jetzigen politischen Führung wird sich nichts ändern. So wie sich durch den 11. September und das Jahr 2008 das Vertrauen in die alte politische Klasse abgenutzt hat, so wird das Jahr 2020 der Vorstellung endgültig ein Ende setzen, Anti-Politik sei unsere Rettung. Doch einen Schlussstrich unter dieses Regime zu ziehen, so notwendig und verdient er auch sein mag, wäre erst der Anfang.
Die Krise macht unausweichlich klar, dass wir vor einer Wahl stehen. Entweder verbarrikadieren wir uns weiter in der Selbstisolation, meiden einander angstvoll und lassen zu, dass das, was uns verbindet, vollends verschwindet. Oder wir lernen aus diesen furchtbaren Tagen: richten unsere Aufmerksamkeit auf die Krankenhausmitarbeiter, die Handys hochhalten, damit Patienten sich von ihren Angehörigen verabschieden können, auf das medizinische Personal, das mit dem Flugzeug von Atlanta nach New York anreist, um dort zu helfen, auf die Mitarbeiter eines Luftfahrtunternehmens in Massachusetts, die fordern, ihr Werk solle künftig Beatmungsgeräte bauen, auf die Menschen in Florida, die in langen Schlangen anstehen, weil sie per Telefon das völlig unterbesetzte Arbeitsamt nicht erreichen können, auf die Bewohner von Milwaukee, die endlose Wartezeiten, Hagel und Ansteckungsgefahr in Kauf nehmen, um bei einer Wahl abzustimmen, die ihnen von parteiischen Richtern aufgezwungen wurde. Und sehen, dass Dummheit und Ungerechtigkeit lebensgefährlich sind, dass Bürger zu sein, Arbeit bedeutet, die für eine Demokratie wesentlich ist; und dass die Alternative zur Solidarität der Tod ist. Wenn wir alle wieder aus unseren Verstecken aufgetaucht sind und die Schutzmasken abgenommen haben, sollten wir nicht vergessen, wie es sich anfühlte, allein zu sein.
Aus dem Englischen von Bettina Röhricht © 2020 The Atlantic Media Co., zuerst veröffentlicht in "The Atlantic Magazine"
Eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der ZEIT 19/2020.
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