Die USA sind als großer Abnehmer weggefallen. Lagerengpässe sorgen für eine Verknappung der Produktion – und beuteln so die ohnehin geschwächte Wirtschaft.
Wer dieser Tage in Caracas
tanken will, findet noch überall Benzin. In der venezolanischen
Hauptstadt sieht man keine Schlangen an den Zapfsäulen. Anders sieht es
mitunter im Inland aus. Da ist Benzin immer mal wieder knapp, das war er
aber in den vergangenen Jahren auch schon.
Vor einem Monat haben die USA die verschärften Sanktionen gegen die
Regierung in Caracas erlassen. Seitdem kaufen sie Venezuela kein Öl mehr
ab. Und damit fließen täglich rund 350 Millionen Dollar weniger in die
Kassen des Regimes. Diese Sanktionen würden Präsident Nicolás Maduro
binnen kurzem in die Knie zwingen, hieß es Anfang Februar. Seit Wochen tobt dazu ein Nervenkrieg um Hilfslieferungen für das seit Jahren darbende Volk. Vor einer Woche war der Versuch des selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó gescheitert, Hilfsgüter – zumeist aus den USA – via Brasilien und Kolumbien nach Venezuela zu bringen.
Indes holt die venezolanische Vizepräsidentin Delcy Rodríguez Hilfe aus Russland: Bei einem Treffen in Moskau mit Außenminister Sergej Lawrow erreichte sie „massive Getreidelieferungen“ und Arzneimittelhilfen.
Venezuelas Staatsölkonzern PdVSA (Petroleos de Venezuela S.A.) verlegt indes seine Europazentrale von Lissabon nach Moskau, will deutlich mehr Öl an Russland verkaufen und so auf die Weltmärkte bringen. Im Gegenzug verstärkt der russische Ölkonzern Rosneft sein Venezuela-Engagement. Russland und die USA beschuldigen sich gegenseitig Hilfslieferungen zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren.
Damit steigt die Rivalität zwischen dem Oppositionsführer Guaidó unterstützenden Westen und dem Pro-Maduro-Bündnis aus Russland und China erheblich. Moskau und Peking haben in der Nacht zum Sonnabend mit einem Veto im UNO-Sicherheitsrat eine von den USA eingebrachte Resolution für westliche Hilfslieferungen nach Venezuela verhindert.
Das wegen seiner weltweit größten Ölvorkommen eigentlich reiche Land ist in den vergangenen Jahren in eine schwere Versorgungskrise geraten. Immer erbitterter verläuft der Machtkampf zwischen Maduro und Guaidó. Der Übergangspräsidenten wird von den USA, Deutschland und weiteren westlichen Ländern als legitimer Staatschef anerkannt.
Aber noch immer hält Maduro seine Ökonomie am Laufen. Es gibt noch Benzin, und auch die Versorgung der Menschen und Geschäfte mit Lebensmitteln ist weiterhin gewährleistet, wie Luis Arturo Bárcenas, Chefökonom bei der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ecoanalítica dem Handelsblatt sagte. „Es gibt keinerlei sichtbaren Veränderungen bei der Versorgung der Tankstellen oder bei der Lebensmittelverteilung“.
Allerdings würden einige große Transportunternehmen vorausschauend Rationierungen planen, um die kommenden Verknappungen vorweg zu nehmen“, sagt Bárcenas. Laut Ecoanalítica gibt es inoffizielle Schätzungen, wonach die Reserven des Sprits noch für die kommenden sechs Wochen reichen. Das wäre Mitte April. Andere Ökonomen vermuten sogar, dass sich die Sanktionen erst bis Mai oder Juni bemerkbar machen könnten.
Ölproduktion bricht weiter ein
Augenzeugen berichten von Schlangen von Autofahrern vor den
Zapfsäulen in den Provinzen, wenn es Gerüchte über eintreffende
Tankwagen gibt. Aber bestimmte Staaten wie Táchira an der Grenze zu
Kolumbien beispielsweise, bekommen schon seit Jahren nur sehr
unregelmäßig Sprit. Seit Ende Januar fehlen Maduro Abnehmer für die rund 550.000 Fass Öl, die zuletzt die USA kauften. Zudem fehlen wichtige Chemikalien aus den USA, die es braucht, um das superschwere (stark schwefelhaltige) venezolanische Öl mit leichtem, importierten Öl zu vermischen, damit es auf Tankschiffe gepumpt werden kann. Eine Zeitlang soll Rosneft noch leichtes Öl nach Venezuela verschifft haben. Doch mittlerweile kommt kein Öl mehr nach Venezuela. Rosneft will nun technische Hilfe für PdVSA leisten.
Allerdings musste Rosneft die Produktion seines Joint ventures Petromonagas stoppen – wegen des westliche Ölembargos hat Venezuela keine Verschiffungskapazitäten mehr. 16 Tanker, randvoll mit insgesamt 8,4 Millionen Barrel Rohöl im Wert von gut 500 Millionen Dollar dümpeln auf Reede vor der venezolanischen Küste. Das Land hat keine Kapazitäten mehr für die Aufnahme weiterer Ölmengen, die Produktion sinkt täglich – zuletzt auf 1,49 Millionen Fass am Tag. 2017 waren es noch 2 Millionen täglich.
„An den Docks der PdVSA-Raffinerien haben schon lange keine Tanker mehr angedockt“, sagt Iván Freites, Direktor der Ölarbeitergewerkschaft FUTPV. Freites ergänzt, dass die Raffinerien El Palito in Carabobo, Puerto La Cruz in Anzoátegui sowie die Anlage auf Curacao ihren Betrieb eingestellt hätten, mit einer gesamten Verarbeitungskapazität von 775.000 Barrel pro Tag.
Aber auch der noch funktionierende Paraguaná-Raffineriekomplex mit einer Kapazität von 940.000 Barrel produziere pro Tag nur 70.000 Barrel Kraftstoff. „Das reicht bei weitem nicht aus, um die Nachfrage des Inlandsmarktes zu decken“, sagt Freites. 110.000 Fass Benzin und 80.000 Fass Diesel verbrauche die Fahrzeugflotte Venezuelas täglich.
Hoffnungen ruhen auf Indien
Nach dem Embargo der US-Regierung ist von den ausländischen Abnehmern
des venezolanischen Erdöls seit Anfang Februar nur noch Indien
übriggeblieben. Und das Land hat seine Abnahme im Februar deutlich
erhöht. Nach Angaben von Kpler, eines Dienstleisters für Rohstoffdaten
und -logistik, bezog Indien 390.000 Fass pro Tag, im Januar waren es
noch 297.000.Auch nach China sind die Exporte gestoppt. Denn mit den Öllieferungen werden nur die Milliardenschulden abbezahlt, die Venezuela in Peking hat, aber es fließen keine neuen Devisen nach Venezuela. Der PdVSA-Präsident Manuel Quevedo ist seit Wochen in Asien und Nahost unterwegs, auf der Suche nach neuen Lieferanten für die überschüssige Ölmenge. Von den Mitgliedern der Organisation der Erdölexportländer (OPEC) erhofft sich Quevedo, der auf der Sanktionsliste der USA steht, möglichst schnell Treibstoffe nach Venezuela geliefert zu bekommen.
Doch das gelingt nicht, auch der Verkauf stockt. Nach Angaben von Kpler ankern jetzt volle Öltanker mit Ladekapazitäten von insgesamt zehn Millionen Fass vor der Küste Venezuelas – das wären rund zehn Tage Ölproduktion Venezuelas. Russlands Außenminister sagte Maduros Vertrauten indes am Freitag russische Hilfe auf technischem, finanziellen und humanitärem Gebiet zu. Die US-Behörden geben den Verlust für Venezuelas PdVSA mit elf Milliarden Dollar an.
Angst vor Bürgerkrieg bei Guaidós Rückkehr
Politisch steht in Venezuela eine Woche mit großer Spannung bevor.
Interimspräsident Guaidó will am Montag nach Caracas zurückkehren, wie
er bei einem Besuch in Brasilien am Donnerstag erklärte. Zugleich warnte
er Staatschef Maduro vor ernsten Folgen, sollte er im Gefängnis landen.
„Ich bin diese Verpflichtung nicht eingegangen, um sie außerhalb
Venezuelas zu erfüllen“, betonte Guaidó in einem auf Twitter
veröffentlichten Video. „Wir sehen uns sehr bald in Caracas“.Maduro hatte Guaidó zuvor im Falle einer Rückkehr mit strafrechtlichen Schritten gedroht. „Er kann nicht einfach kommen und gehen, die Justiz hatte ihm das Verlassen des Landes verboten“, sagte der Machthaber in einem Interview des US-Senders ABC. Der Oppositionschef hatte vor einer Woche dem gerichtlich verfügten Ausreisestopp getrotzt und war über den Landweg nach Kolumbien gereist, wo er die letztliche gescheiterte Übergabe von Hilfsgütern nach Venezuela leiten wollte.
Guaidó warnte, seine Festnahme
würde eine „beispiellose“ Reaktion in Venezuela selbst und im Ausland
nach sich ziehen. „Sollten sie den politischen und historischen Fehler
begehen, mich zu inhaftieren, werden sie sich vor der Welt verantworten
müssen. Dies wäre ein Staatsstreich und ein Attentat auf die Stabilität
des Landes“, ergänzte der 35-Jährige gegenüber dem kolumbianischen
Sender Caracol. Auf die Frage, ob das eine Intervention der USA auslösen
würde, antwortete er: „Das ist eine Entscheidung der Vereinigten
Staaten.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen