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Sonntag, 4. November 2018

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Uruguayer*innen dürfen jetzt unbürokratisch ihren Geschlechtseintrag ändern. Damit hat das Land eines der liberalsten Trans*-Gesetze der Welt.


TAZ
 Zwei Menschen lachen und weinen vor Freude
Für Aktivist*innen war die Gesetzesänderung in Uruguay ein Grund für Freudentränen Foto: ap


Das beschauliche Uruguay verbinden viele mit legalem Gras, Matetee und vielleicht noch mit dem linken Expräsidenten „El Pepe“. Aber Uruguay ist nicht nur beim Thema Kiffen den meisten anderen Ländern weit voraus. Gerade hat das südamerikanische Land das „Ley Integral para Personas Trans“ verabschiedet – ein Gesetz, nach dem die individuelle Geschlechtsidentität aller Bürger*innen vollständig anerkannt werden soll. „Es ist das wahrscheinlich weitreichendste Transsexuellengesetz der Welt“, sagt Rodrigo Falcón vom Kollektiv Trans Boys Uruguay in einem Gespräch mit der taz.
Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, die Veränderung des Namens und Geschlechts­eintrags im Pass zu einem einfachen behördlichen Akt zu machen. Wo vorher ein zeitaufwendiges juristisches Verfahren nötig war, soll künftig ein Gang zum Amt reichen. Außerdem wird eine Ein-Prozent-Quote für Trans* im öffentlichen Dienst angestrebt. Und Menschen, die während der Militärdiktatur in Uruguay aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität Opfer staatlicher Gewalt wurden, erhalten Reparationszahlungen von rund 350 Dollar pro Monat.

Von einer „furia amarilla“, einem gelben Toben, war die Rede, als das Gesetz am 19. Oktober nach 10-stündiger Debatte im uruguayischen Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. Gelb ist die Farbe der Pañuelos, der Halstücher der Kampagne #LeyTransYa, auf Deutsch „Trans­gesetz jetzt“.
Erst im August hatte der Senat im benachbarten Argentinien gegen ein Gesetz für legale, sichere und kostenlose Schwangerschaftsabbrüche gestimmt – und damit gegen ein Meer aus grünen Halstüchern, deren Träger*innen die Reform befürworteten. Nachdem also Grün in Argentinien scheiterte, hatte Gelb in Uruguay Erfolg. Nicht nur das Publikum im Abgeordnetenhaus in Montevideo, auch die meisten Politiker*innen der Regierungspartei Frente Amplio trugen das gelbe Symboltuch bei ihren Reden. 62 von 88 Abgeordneten stimmten schließlich dafür.
Ein Appell an die Zivilgesellschaft
Delfina Martínez, Aktivistin der Unión Trans, sagt in einem Gespräch mit der taz, das Ziel der Kampane #LeyTransYa habe in erster Linie darin bestanden, die Situation von Trans* öffentlich sichtbar zu machen. „Es ging darum, an die Solidarität der Zivilgesellschaft zu appellieren, nicht, uns mit unseren Feinden anzulegen. Dadurch konnte die Kampagne eine solch große Reichweite und so viel Zustimmung erzielen.“
Dabei sei besonders wichtig gewesen, dass die Stimmen von Trans* in der „ersten Person“ gehört würden, dass sie selbst die Kampagne anleiteten und nicht nur „über sie“ gesprochen wurde. Jetzt habe sich politisch durchgesetzt, was auf der Straße längst beschlossene Sache war. Am 29. September hatten mehr als 120.000 Menschen an einem Diversity March in Montevideo teilgenommen, eine erstaunliche Größe bei einem Land mit einer Bevölkerung von rund dreieinhalb Millionen.
Delfina Martínez, Aktivistin„Es ging darum, an die Solidarität der Gesellschaft zu appellieren, nicht, uns mit unseren Feinden anzulegen“
Das bedeutet jedoch nicht, dass Uruguay kein Problem mit Diskriminierung von Trans* hätte. Wegen der Ausgrenzung durch Lehrpersonal und Mitschüler*innen beenden nur 40 Prozent von Trans* die Mittelstufe, im Schnitt verlassen sie bereits mit 14 Jahren das Bildungssystem, nur 23 Prozent erreichen eine formale Anstellung.
8 von 10 Trans*frauen üben irgendwann in ihrem Leben Sexarbeit aus, Trans* über 50 verdienen im Schnitt nur etwa 100 Dollar im Monat – Probleme, auf die die Kampagne mit einem viralen Onlinevideo hingewiesen hatte. Nun soll sich das Bildungssystem verändern und das Lehrpersonal in Sachen Trans*-Diskriminierung sensibilisiert werden. Außerdem sollen 2 Prozent aller staatlichen Stipendien zukünftig an Trans* vergeben werden.
Systematische Verfolgung von Trans*
In einem Bericht des Ministeriums für soziale Entwicklung, der 2016 veröffentlicht wurde, heißt es, dass die Lebenserwartung von Trans* in Uruguay zwischen 35 und 40 Jahren liegt, nur 2 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe sind älter als 65 Jahre.
Der Aktivist Rodrigo Falcón führt das unter anderem auf die systematische Verfolgung von Trans* während der Diktatur in Uruguay zwischen 1973 und 1985 zurück: „Wenn Trans*frauen auf die Straße gingen, um einzukaufen oder andere alltägliche Erledigungen zu machen, konnten sie jeden Moment festgenommen und abgeführt werden. Folter, Schläge und Vergewaltigungen folgten. Es gibt nur sehr wenige Überlebende aus dieser Zeit.“
Um die Reparationszahlungen, die das Gesetz jetzt vorsieht, zu erhalten, muss man allerdings beweisen, dass man von Verfolgung betroffen war. Laut Rodrigo Falcón ist das problematisch für Trans*männer. „Bei den meisten dieser Fälle handelte es sich um Trans*frauen. Trans*männer waren einfach nicht so sichtbar und sind es auch heute nicht.“
Falcón gründete vor vier Jahren das Kollektiv „Trans Boys Uruguay“, die erste Anlaufstelle für Trans*männer überhaupt. Mittlerweile arbeitet Falcón auch mit Familien von Trans*kindern zusammen, informiert über die juristische Situation, medizinische Möglichkeiten und darüber, wie Eltern ihre Kindern bestmöglich empowern können „Die Zusammenarbeit mit den Familien hat uns nochmal eine andere Stimme gegeben.“ Leider zähle es in der Gesellschaft mehr, wenn Cis-Eltern ihre Trans*kinder verteidigten, als wenn Trans* das selbst täten.
Leichterer Zugang zu Hormonbehandlungen
Das neue Gesetz soll auch die Pathologisierung über das Gesundheitssystem beenden. Personen über 18 wird das Recht zugestanden, körperliche Veränderungen im Sinne ihrer geschlechtlichen Identität vorzunehmen – durch Hormone oder chirurgische Eingriffe, ohne dass dafür juristische oder behördliche Bescheinigungen vorgelegt werden müssen. Zum Vergleich: Der deutsche Gesetzesentwurf zur „Dritten Option“, der gerade im Bundestag debattiert wird, macht den Geschlechtseintrag weiterhin von medizinischen Gutachten abhängig, was Trans*verbände scharf kritisieren.
Auch Minderjährigen soll der Zugang zu Hormonbehandlungen erleichtert werden – für Aktivistin Delfina Martínez besonders wichtig. „Minderjährige Trans*Personen müssen sonst auf klandestine Methoden zur Veränderung ihres Körpers zurückzugreifen. Zum Beispiel werden Indrustrieöle injiziert oder sie schlucken freiverkäufliche Hormontabletten ohne eine medizinische und psychologische Betreuung.“
Das neue Gesetz soll auch die Pathologisierung über das Gesundheitssystem beenden
„Progressive Autonomie“ heißt das Prinzip, nach dem auch Menschen unter 18 selbst über ihre Geschlechtsidentität und ihren Körper bestimmen dürfen. Bei einer chirurgischen Veränderung der Genitalien ist aber weiter das Einverständnis der Eltern nötig. „Wenn wir bedenken, dass viele Trans* vor ihrem 18. Lebensjahr von zu Hause rausgeworfen werden und keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern haben, ist diese Entscheidung zu kritisieren“, sagt Martínez.
Auch für Rodrigo Falcón ist mit dem Gesetz noch nicht alles getan: „Meine alltägliche Arbeit mit Trans*kindern und deren Familien zeigt mir, dass ein neues Gesetz noch lange nicht bedeutet, dass dieses auch in der Realität umgesetzt wird.“ Falcón verweist auf ein früheres Gesetz zur Änderung des Namens- und Geschlechtseintrags, das in Uruguay bereits 2009 verabschiedet worden ist. „2015 bekamen wir immer noch Anrufe von Trans*männern aus Uruguay, die uns davon erzählten, dass die Mitarbeiter*innen in den zuständigen Behörden behaupteten, ein solches Gesetz gebe es nicht.“
Noch viel Arbeit
Auch jetzt werde er noch viel Arbeit damit haben, zu überprüfen, ob das Gesetz wirklich Anwendung finde, ob die Reparatio­nen wirklich gezahlt würden, ob die Namensänderung wirklich so leicht möglich sei, wie es heißt.
Delfina Martínez zieht dennoch ein hoffnungsvolles Fazit, nennt das Gesetz historisch: „In Lateinamerika finden gerade extrem gegenläufige Prozesse statt. Wenn wir nach Brasilien blicken, sitzt dort neuerdings der ultrarechte Jair Bolsonaro im Präsidentenpalast. Gleichzeitig wurde mit der Afrobrasilianerin Erica Malunguino dieses Jahr zum ersten Mal eine Trans*frau in den Kongress von São Paulo gewählt.“
In Uruguay gab es eine Petition der evangelikalen Gruppierung Misión Vida, die 30.000 Unterschriften gegen den Gesetzesvorschlag sammelte. Eine Gegenkampagne von #LeyTransYa bekam jedoch doppelt so viele Unterschriften wie die fundamentalen Christ*innen. Martínez ist sich sicher, dass auch die Reform in Sachen Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien irgendwann noch durchkommt. Dass der Wandel, die „Furia“ in Gelb und Grün, nicht mehr zu stoppen ist.


TAZ

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