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Für Aktivist*innen war die Gesetzesänderung in Uruguay ein Grund für Freudentränen Foto: ap
Das beschauliche Uruguay verbinden viele mit legalem Gras,
Matetee und vielleicht noch mit dem linken Expräsidenten „El Pepe“.
Aber Uruguay ist nicht nur beim Thema Kiffen den meisten anderen Ländern
weit voraus. Gerade hat das südamerikanische Land das „Ley Integral
para Personas Trans“ verabschiedet – ein Gesetz, nach dem die
individuelle Geschlechtsidentität aller Bürger*innen vollständig
anerkannt werden soll. „Es ist das wahrscheinlich weitreichendste
Transsexuellengesetz der Welt“, sagt Rodrigo Falcón vom Kollektiv Trans
Boys Uruguay in einem Gespräch mit der taz.
Das neue Gesetz sieht unter
anderem vor, die Veränderung des Namens und Geschlechtseintrags im Pass
zu einem einfachen behördlichen Akt zu machen. Wo vorher ein
zeitaufwendiges juristisches Verfahren nötig war, soll künftig ein Gang
zum Amt reichen. Außerdem wird eine Ein-Prozent-Quote für Trans* im
öffentlichen Dienst angestrebt. Und Menschen, die während der
Militärdiktatur in Uruguay aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität
Opfer staatlicher Gewalt wurden, erhalten Reparationszahlungen von rund
350 Dollar pro Monat.
Von einer „furia amarilla“, einem
gelben Toben, war die Rede, als das Gesetz am 19. Oktober nach
10-stündiger Debatte im uruguayischen Abgeordnetenhaus verabschiedet
wurde. Gelb ist die Farbe der Pañuelos, der Halstücher der Kampagne
#LeyTransYa, auf Deutsch „Transgesetz jetzt“.
Erst im August hatte der Senat im benachbarten Argentinien gegen ein Gesetz für legale, sichere und kostenlose Schwangerschaftsabbrüche gestimmt
– und damit gegen ein Meer aus grünen Halstüchern, deren Träger*innen
die Reform befürworteten. Nachdem also Grün in Argentinien scheiterte,
hatte Gelb in Uruguay Erfolg. Nicht nur das Publikum im Abgeordnetenhaus
in Montevideo, auch die meisten Politiker*innen der Regierungspartei
Frente Amplio trugen das gelbe Symboltuch bei ihren Reden. 62 von 88
Abgeordneten stimmten schließlich dafür.
Ein Appell an die Zivilgesellschaft
Delfina Martínez, Aktivistin der
Unión Trans, sagt in einem Gespräch mit der taz, das Ziel der Kampane
#LeyTransYa habe in erster Linie darin bestanden, die Situation von
Trans* öffentlich sichtbar zu machen. „Es ging darum, an die Solidarität
der Zivilgesellschaft zu appellieren, nicht, uns mit unseren Feinden
anzulegen. Dadurch konnte die Kampagne eine solch große Reichweite und
so viel Zustimmung erzielen.“
Dabei sei besonders wichtig
gewesen, dass die Stimmen von Trans* in der „ersten Person“ gehört
würden, dass sie selbst die Kampagne anleiteten und nicht nur „über sie“
gesprochen wurde. Jetzt habe sich politisch durchgesetzt, was auf der
Straße längst beschlossene Sache war. Am 29. September hatten mehr als
120.000 Menschen an einem Diversity March in Montevideo teilgenommen,
eine erstaunliche Größe bei einem Land mit einer Bevölkerung von rund
dreieinhalb Millionen.
Delfina Martínez, Aktivistin„Es ging darum, an die Solidarität der Gesellschaft zu appellieren, nicht, uns mit unseren Feinden anzulegen“
Das bedeutet jedoch nicht, dass
Uruguay kein Problem mit Diskriminierung von Trans* hätte. Wegen der
Ausgrenzung durch Lehrpersonal und Mitschüler*innen beenden nur 40
Prozent von Trans* die Mittelstufe, im Schnitt verlassen sie bereits mit
14 Jahren das Bildungssystem, nur 23 Prozent erreichen eine formale
Anstellung.
8 von 10 Trans*frauen üben
irgendwann in ihrem Leben Sexarbeit aus, Trans* über 50 verdienen im
Schnitt nur etwa 100 Dollar im Monat – Probleme, auf die die Kampagne
mit einem viralen Onlinevideo hingewiesen hatte. Nun soll sich das
Bildungssystem verändern und das Lehrpersonal in Sachen
Trans*-Diskriminierung sensibilisiert werden. Außerdem sollen 2 Prozent
aller staatlichen Stipendien zukünftig an Trans* vergeben werden.
Systematische Verfolgung von Trans*
In einem Bericht des Ministeriums
für soziale Entwicklung, der 2016 veröffentlicht wurde, heißt es, dass
die Lebenserwartung von Trans* in Uruguay zwischen 35 und 40 Jahren
liegt, nur 2 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe sind älter als 65 Jahre.
Der Aktivist Rodrigo Falcón führt
das unter anderem auf die systematische Verfolgung von Trans* während
der Diktatur in Uruguay zwischen 1973 und 1985 zurück: „Wenn
Trans*frauen auf die Straße gingen, um einzukaufen oder andere
alltägliche Erledigungen zu machen, konnten sie jeden Moment
festgenommen und abgeführt werden. Folter, Schläge und Vergewaltigungen
folgten. Es gibt nur sehr wenige Überlebende aus dieser Zeit.“
Um die Reparationszahlungen, die
das Gesetz jetzt vorsieht, zu erhalten, muss man allerdings beweisen,
dass man von Verfolgung betroffen war. Laut Rodrigo Falcón ist das
problematisch für Trans*männer. „Bei den meisten dieser Fälle handelte
es sich um Trans*frauen. Trans*männer waren einfach nicht so sichtbar
und sind es auch heute nicht.“
Falcón gründete vor vier Jahren
das Kollektiv „Trans Boys Uruguay“, die erste Anlaufstelle für
Trans*männer überhaupt. Mittlerweile arbeitet Falcón auch mit Familien
von Trans*kindern zusammen, informiert über die juristische Situation,
medizinische Möglichkeiten und darüber, wie Eltern ihre Kindern
bestmöglich empowern können „Die Zusammenarbeit mit den Familien hat uns
nochmal eine andere Stimme gegeben.“ Leider zähle es in der
Gesellschaft mehr, wenn Cis-Eltern ihre Trans*kinder verteidigten, als
wenn Trans* das selbst täten.
Leichterer Zugang zu Hormonbehandlungen
Das neue Gesetz soll auch die
Pathologisierung über das Gesundheitssystem beenden. Personen über 18
wird das Recht zugestanden, körperliche Veränderungen im Sinne ihrer
geschlechtlichen Identität vorzunehmen – durch Hormone oder chirurgische
Eingriffe, ohne dass dafür juristische oder behördliche Bescheinigungen
vorgelegt werden müssen. Zum Vergleich: Der deutsche Gesetzesentwurf
zur „Dritten Option“, der gerade im Bundestag debattiert wird, macht den
Geschlechtseintrag weiterhin von medizinischen Gutachten abhängig, was
Trans*verbände scharf kritisieren.
Auch Minderjährigen soll der
Zugang zu Hormonbehandlungen erleichtert werden – für Aktivistin Delfina
Martínez besonders wichtig. „Minderjährige Trans*Personen müssen sonst
auf klandestine Methoden zur Veränderung ihres Körpers zurückzugreifen.
Zum Beispiel werden Indrustrieöle injiziert oder sie schlucken
freiverkäufliche Hormontabletten ohne eine medizinische und
psychologische Betreuung.“
Das neue Gesetz soll auch die Pathologisierung über das Gesundheitssystem beenden
„Progressive Autonomie“ heißt das
Prinzip, nach dem auch Menschen unter 18 selbst über ihre
Geschlechtsidentität und ihren Körper bestimmen dürfen. Bei einer
chirurgischen Veränderung der Genitalien ist aber weiter das
Einverständnis der Eltern nötig. „Wenn wir bedenken, dass viele Trans*
vor ihrem 18. Lebensjahr von zu Hause rausgeworfen werden und keinen
Kontakt mehr zu ihren Eltern haben, ist diese Entscheidung zu
kritisieren“, sagt Martínez.
Auch für Rodrigo Falcón ist mit
dem Gesetz noch nicht alles getan: „Meine alltägliche Arbeit mit
Trans*kindern und deren Familien zeigt mir, dass ein neues Gesetz noch
lange nicht bedeutet, dass dieses auch in der Realität umgesetzt wird.“
Falcón verweist auf ein früheres Gesetz zur Änderung des Namens- und
Geschlechtseintrags, das in Uruguay bereits 2009 verabschiedet worden
ist. „2015 bekamen wir immer noch Anrufe von Trans*männern aus Uruguay,
die uns davon erzählten, dass die Mitarbeiter*innen in den zuständigen
Behörden behaupteten, ein solches Gesetz gebe es nicht.“
Noch viel Arbeit
Auch jetzt werde er noch viel
Arbeit damit haben, zu überprüfen, ob das Gesetz wirklich Anwendung
finde, ob die Reparationen wirklich gezahlt würden, ob die
Namensänderung wirklich so leicht möglich sei, wie es heißt.
Delfina Martínez zieht dennoch
ein hoffnungsvolles Fazit, nennt das Gesetz historisch: „In
Lateinamerika finden gerade extrem gegenläufige Prozesse statt. Wenn wir
nach Brasilien blicken, sitzt dort neuerdings der ultrarechte Jair
Bolsonaro im Präsidentenpalast. Gleichzeitig wurde mit der
Afrobrasilianerin Erica Malunguino dieses Jahr zum ersten Mal eine
Trans*frau in den Kongress von São Paulo gewählt.“
In Uruguay gab es eine
Petition der evangelikalen Gruppierung Misión Vida, die 30.000
Unterschriften gegen den Gesetzesvorschlag sammelte. Eine Gegenkampagne
von #LeyTransYa bekam jedoch doppelt so viele Unterschriften wie die
fundamentalen Christ*innen. Martínez ist sich sicher, dass auch die
Reform in Sachen Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien irgendwann noch
durchkommt. Dass der Wandel, die „Furia“ in Gelb und Grün, nicht mehr
zu stoppen ist.
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