Stand: 17.05.2016 16:42 Uhr
Kein Geld, kein Strom und bald auch keine
Demokratie mehr: Lateinamerika-Experte Detlef Nolte sieht die
Entwicklung Venezuelas kritisch. Warum sich Präsident Maduro in einer
Grauzone bewegt, erklärt Nolte im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Heute sind
Einzelheiten bekannt geworden, was die Verlängerung des Ausnahmezustands
in Venezuela bedeutet. Danach kann Präsident Nicolás Maduro unter
anderem das Militär einsetzen, um die Lebensmittelproduktion und
–verteilung zu sichern. Mit "Spezialmaßnahmen" soll laut Dekret auch
eine Einmischung des Auslands in innere Angelegenheiten unterbunden
werden. Sind diese Sondervollmachten noch mit demokratischen Grundsätzen
vereinbar?
Detlef Nolte: Präsident Maduro
bewegt sich in einer Grauzone, in der die dunkleren Töne sicherlich
überwiegen. Die Entwicklung Venezuelas in den vergangenen Monaten und
Wochen verläuft vom demokratischen System weg und auf ein autoritäres
System zu.
Das beginnt damit, dass Maduro das Wahlergebnis
von Dezember in seinem Handeln nicht anerkennt. Damals hatte das
oppositionelle Parteienbündnis Mesa de la Unidad Democrática gewonnen,
was als Erdrutschsieg gewertet wurde. Maduros Parteifreunde im Obersten
Gerichtshof haben dafür gesorgt, dass die gewählte Mehrheit im Parlament
gleich entmachtet wurde. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass die
Abgeordneten über solche Sondervollmachten wie jetzt mit entscheiden.
Der Oberste Gerichtshof hat aber nach einer, um es vorsichtig zu
formulieren, eigenwilligen Interpretation der Verfassung dem Parlament
dieses Recht abgesprochen.
tagesschau.de: Welche Gefahr geht von einem möglichen Militäreinsatz aus?
Nolte: Das jüngste Dekret sieht
vor, dass der Präsident das Militär einsetzen kann, zum Beispiel um
Lebensmittel zu verteilen oder um Unruhen zu bekämpfen. Ein solcher
Einsatz sollte gut überlegt sein, denn Maduro könnte ein erhebliches
Risiko eingehen. Wenn er das Militär in einer hochpolarisierten
Situation zum Schiedsrichter macht, ist nicht auszuschließen, dass sich
das Blatt gegen ihn selbst wendet, weil sich das Militär möglicherweise
ungern zum Handlanger für eine offene Repressionspolitik degradieren
lässt. Maduro könnte zum Bauernopfer werden, falls sich das Militär vom
Regime distanzieren möchte. Auch wenn es bisher eine wichtige Stütze
war.
Maduro, Jahrgang 1962, ist seit 2013
venezolanischer Staatspräsident. Die Parlamentswahl 2015 verlor er an
die Opposition. Seitdem regiert Maduro mit Notverordnungen.
tagesschau.de: Venezuela steckt
in einer tiefen Wirtschaftskrise und steht offenbar kurz vor dem
Staatsbankrott. Darf oder muss der Präsident in dieser Situation nicht
tatsächlich zu drastischen Maßnahmen greifen?
Nolte: Sicher verlangen
außergewöhnliche Situationen nach außergewöhnlichen Maßnahmen. Aber die
jetzige Regierung ist für den Absturz Venezuelas größtenteils selbst
verantwortlich. Viele der Fehler sind hausgemacht, allein, dass es nicht
gelingt, die Korruption zu bekämpfen. Auf dem Index von Transparency
International liegt Venezuela auf dem 158. von 168 möglichen Plätzen. Da
ist nicht viel Luft nach unten. Dazu kommt der niedrige Ölpreis, denn
Öl ist die Hauptdevisenquelle für das Land. Dadurch gerät die Wirtschaft
zusätzlich unter Druck.
Was soll die Zwei-Tage-Woche?
tagesschau.de: Was hätte Maduro
eher tun können, um die Situation in den Griff zu bekommen? Manche
Maßnahme wie die Einführung der Zwei-Tage-Woche wirkt, von hier aus
betrachtet, eher absurd denn zielführend.
Nolte: Das Hauptmotiv vieler
dieser Maßnahmen ist der eigene Machterhalt. Ich kann nicht erkennen,
dass die Zwei-Tage-Woche oder die Verschiebung der Zeitzone zu einer
wirtschaftlichen Verbesserung führen. Maduro ist nicht bereit, seine
Politik auf eine breitere gesellschaftliche Basis zu stellen. Wenn er
im Parlament über keine Mehrheit verfügt, sollte er auf die Opposition
zugehen und diese nicht vor den Kopf stoßen. Mit der jetzigen
Wirtschaftspolitik verprellt er überdies auch noch die letzten
investitionswilligen Unternehmer.
Lebensmittel und Strom sind knapp: Venezuela erlebt
eine dramatische Wirtschaftskrise mit dreistelliger Inflationsrate.
Grund dafür sind der sinkende Ölpreis und eine langanhaltende Dürre.
tagesschau.de: Die Opposition
will Maduro über ein Referendum zu Fall bringen. Er selbst sagt, er
wolle einem Putsch vorbeugen. Für wie groß halten Sie die Gefahr eines
Putsches in Venezuela?
Nolte: Akut sehe ich keine
Putschgefahr, die von der Opposition ausgeht. Die Opposition versucht,
Maduro zu stürzen, aber mit den konstitutionellen Mitteln, die dafür
vorgesehen sind.
Die venezolanische Verfassung sieht ausdrücklich
vor, dass der Präsident in einer Volksabstimmung abgewählt werden kann.
Dafür sammelt die Opposition derzeit Stimmen. Die Regierung will das
natürlich blockieren, unter anderem eben mit der Einführung der
Zwei-Tage-Woche. Wenn die entsprechenden Behörden nur an zwei Tagen in
der Woche arbeiten, dann dauert die Überprüfung der Unterschriften für
ein Referendum entsprechend länger, was Maduro ein zusätzliches
Zeitpolster verschafft. Ihm ist daran gelegen, ein Referendum möglichst
weit hinaus zu schieben. Sollte er es vor Januar 2017 verlieren, muss
neu gewählt werden. Verliert Maduro das Referendum nach Januar 2017,
folgt ihm sein Vizepräsident nach, um die Zeit bis zur nächsten
regulären Wahl zu überbrücken.
"Die Zeiten des Wirtschaftsbooms sind vorbei"
tagesschau.de: Inwieweit wird
die Situation in Venezuela zusätzlich durch Nachrichten aus Brasilien
angeheizt, wo Präsidentin Dilma Rousseff sich mit einem
Amtsenthebungsverfahren konfrontiert sieht und zurzeit vom Amt
suspendiert ist?
Nolte: Nicht nur die
brasilianische, sondern auch die argentinische Entwicklung führt dazu,
dass sich die Regierung Maduro zunehmend isoliert fühlt. Die Abwahl von
Cristina de Kirchner war der Anfang, jetzt folgte dann die Suspendierung
von Rousseff.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die
Bürgerlichen die Sozialisten für jahrelange Träumereien und Versäumnisse
bezahlen lassen. Ich sehe aber vor allem wirtschaftliche Gründe für
diesen politischen Kurswechsel. Die Zeiten des Wirtschaftsbooms sind
vorbei und damit auch die Zeiten der Schön-Wetter-Demokratien, die
Zeiten von hohen Staatseinahmen und teuren Wähler-Geschenken.
Zum einen hatten viele Links-Regierungen also
einfach Pech, dass sie jetzt mit einem wirtschaftlichen Abschwung zu
kämpfen haben. Zum anderen beweisen die Entwicklungen in Brasilien und
Argentinien einmal mehr, dass Macht auf Dauer korrumpiert. Ob es dann
die Bürgerlichen besser können, muss sich erst noch zeigen. Bislang
muten die verkündeten Rezepte sehr konventionell und eher
rückwärtsgewandt an.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de
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