Im Ausland sind wir für unsere Neigung, uns zu ängstigen, bekannt: Die
Rede ist sogar von "German Angst". Doch was ist die Ursache für diese
Hasenfüßigkeit? Forscher haben erste Hinweise gefunden.
Von
Harald Czycholl
Unsere Nachbarn wissen es
schon lange: Wir Deutschen sind ein Volk von Bedenkenträgern, durchleben
kaum einen Tag ohne Existenzangst und hassen Veränderungen.
Aktuelle Zahlen von Marktforschern belegen das: Der Unisys Security Index,
der auf einer halbjährlichen Umfrage zur nationalen, finanziellen,
Internet- und persönlichen Sicherheit basiert, zeigt für Deutschland
derzeit einen Wert von 146 von möglichen 300 Punkten. Zum Vergleich:
Großbritannien erreicht auf der Angst-Skala lediglich einen Wert von
103, die Niederlande sogar nur 66.
Die
Deutschen sind von einem Gefühl der permanenten Bedrohung getrieben. Um
dem entgegenzuwirken, haben sie schon den Sozialstaat erfunden, nehmen
Dinge wie einen Reformstau billigend in Kauf und geben Milliarden für
Versicherungen aus, um sich gegen praktisch jedes Risiko abzusichern,
das das Leben theoretisch mit sich bringen kann.
Ob
streitwütige Nachbarn oder Einbruch, Handyverlust oder Zahnersatz,
Leben und sogar Sterben – für sämtliche Eventualitäten stapeln sich die
Policen in deutschen Regalen. Ausländische Kommentatoren haben für
dieses Lebensgefühl längst einen Begriff gefunden: "German Angst".
Doch
woher kommt sie, diese deutsche Hasenfüßigkeit? Altbundeskanzler Helmut
Schmidt glaubt es zu wissen: "Die Deutschen haben die Neigung, sich zu
ängstigen. Das steckt seit dem Ende der Nazi-Zeit und Krieg in ihrem
Bewusstsein", sagte er 2011.
Davor haben die Deutschen wirklich Angst
Geld,
Umwelt und Gesundheit - das sind die größten Ängste der Deutschen, so
eine Studie einer großen Versicherung. Krisen wie im Irak oder in der
Ukraine sind zu weit weg für echtes Kopfzerbrechen.
Quelle: N24
Und
damit könnte er richtig liegen. Denn in den vergangenen Jahren konnten
verschiedene Forschungsgruppen zeigen, dass Traumata, Stress und auch
die Ernährung die Chemie des Erbguts verändern können. Das wiederum hat
Auswirkungen auf die Funktion der Zellen und damit den gesamten
Organismus und seine Psyche.
Zudem
können diese zu epigenetischen Veränderungen werden. Liegt die Ursache
für die German Angst also wirklich in den Traumata, die unsere Eltern
und Großeltern vor fast 70 Jahren erlitten haben, aber nicht verarbeiten
konnten?
Haben das
erlebte Leid und die kollektive Schuld Nazi-Deutschlands sich nicht nur
in der Psyche der damals lebenden Menschen niedergeschlagen, sondern
auch Eingang in unsere Gene gefunden und bestehen damit über
Generationen fort?
Kriegserfahrungen können das Erbgut verändern
Erste
Hinweise darauf, dass Kriegserfahrungen tatsächlich vererbbar sind,
haben niederländische Forscher von der Universitätsklinik Amsterdam
geliefert: Der Winter 1944/1945 war hart und brachte eine Hungersnot in
den Niederlanden mit sich. Die Kriegsjahre hatten das Land ausgezehrt,
zudem war ein Lebensmittelembargo in Kraft.
Mehr
als 20.000 Menschen verhungerten. Babys, die während dieses
Hungerwinters geboren wurden, waren außerordentlich klein: Kaum eines
von ihnen brachte mehr als 2500 Gramm auf die Waage. Frauen, die unter
diesen Bedingungen geboren worden waren, brachten allerdings später auch
selbst auffallend kleine Kinder zur Welt – obwohl gar kein Mangel mehr
herrschte.
Zudem
erkrankten die Kinder der in der Fachzeitschrift "Molecular and Cellular
Endocrinology" veröffentlichten Studie zufolge überdurchschnittlich
häufig an Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden.
Die
niederländischen Forscher gehen davon aus, dass die Mangelernährung des
Hungerwinters dazu geführt hat, dass sich das Methylierungsmuster an
der DNA der betroffenen Menschen verändert hat. Methylgruppen an der DNA
entscheiden darüber, ob ein Gen abgelesen wird – je mehr Methylgruppen
an einem DNA-Abschnitt hängen, desto dichter ist er verpackt und desto
schwerer kann er abgelesen werden.
Dies
ist der bislang bekannteste epigenetische Mechanismus. Durch den
Nährstoffmangel seien einige der Methylgruppen verloren gegangen,
vermuten die Forscher. Der Körper habe quasi den Stoffwechsel auf
Sparflamme umgeschaltet, um die Überlebenschancen zu verbessern.
Doch
als im Anschluss an den Krieg die Zeiten des Überflusses anbrachen,
wurde der Vorteil zum Nachteil: Der Organismus der Nachfahren kam mit
der reichlichen Nahrung nicht zurecht – das würde die hohe Diabetesrate
erklären.
Traumata vom 11. September schlägt auf die Gene
Andere Zeit, anderer Kontinent, anderes Trauma: Als am 11. September 2001
Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers krachten und
diese zum Einsturz brachten, schockierte das Millionen Menschen weltweit
– besonders natürlich jene, die direkte Augenzeugen der Terroranschläge
wurden.
Gemeinsam mit Rachel Yehuda von der Mount Sinai School of Medicine untersuchte der deutsche Psychiater und Chemiker Florian Holsboer vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie
in München anschließend eine Gruppe von 40 Augenzeugen der Anschläge.
Die Hälfte von ihnen litt fünf Jahre danach an einer posttraumatischen
Belastungsstörung, die andere Hälfte nicht.
Nordlichter sind die glücklichsten Deutschen
Forscher
der Universität Freiburg haben die Lebenszufriedenheit in 19 deutschen
Regionen gemessen. Die glücklichsten Menschen fanden sie dabei in
Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen.
Quelle: Die Welt
Und
tatsächlich konnten die Forscher bei den betroffenen Probanden
epigenetische Veränderungen finden: Bis zu 25 Gene waren der in der
Fachzeitschrift "Biological Psychiatry"
veröffentlichten Studie zufolge verändert, darunter auch eines namens
FKPB5. Ist dieses inaktiv, funktioniert die Steuerung des Stresshormons
Kortisol nicht mehr richtig und die Betroffenen können auf Stress nicht
mehr angemessen reagieren – eine Belastungsstörung ist die Folge.
Ähnliche Ergebnisse zeigte eine jüngst im "World Journal of Biological Psychiatry"
veröffentlichte Untersuchung der epigenetischen Folgen des Völkermords
in Ruanda. Vor 20 Jahren hatten dort Angehörige der Hutu-Mehrheit
innerhalb von weniger als 100 Tagen drei Viertel der Tutsi-Minderheit
getötet – Schätzungen zufolge starben bei dem Gemetzel eine Million
Menschen.
Wissenschaftler
aus der Schweiz und Ruanda untersuchten nun 50 überlebende
Tutsi-Frauen, die in dieser Zeit schwanger waren, sowie deren Kinder.
Das Ergebnis: Im Erbgut der betroffenen Frauen fanden sich veränderte
Methylierungsmuster, die die Stressantwort beeinträchtigen, ebenso bei
ihren Kindern.
Studien können lediglich als Indiz gewertet werden
Die
Studien haben allerdings eine entscheidende Schwäche: Niemand kann
sicher sagen, ob es wirklich das jeweilige traumatische Erlebnis war,
das eine Kerbe in die Erbsubstanz geschlagen hatte. Die ungünstige
genetische Markierung könnte schließlich auch schon vorher da gewesen
sein – und aus dieser Zeit existieren keine Daten. Als Beweis können
diese Studien also nicht dienen, höchstens als Indiz.
Aber dass die Richtung stimmt, darauf deuten Laborversuche an Mäusen hin: Wissenschaftler der Universität Zürich
traumatisierten Mäusebabys, indem sie die Tiere für mehrere Stunden am
Tag von ihren Müttern trennten. In der Folge zeigten sie depressives
Verhalten und verloren zudem ihre Scheu vor offenen Räumen und hellem
Licht, schrieben die Forscher in der April-Ausgabe des Fachblattes "Nature Neuroscience".
Diese
Verhaltensstörung vererbt sich auch auf die Nachkommen: Die Schweizer
Wissenschaftler paarten Männchen aus traumatisierten Würfen mit
Weibchen, die niemals frühkindlichem Stress ausgesetzt wurden – und auch
die nächste Generation zeigte das ungewöhnliche Verhaltensmuster.
Und
da Mäuseväter nicht an der Aufzucht der Jungen beteiligt sind, kann
sich die Störung nicht über die soziale Interaktion auf den Nachwuchs
übertragen haben – die Verhaltensauffälligkeit muss also auf anderem Weg
weitergegeben worden sein.
Bedeutet
das nun, dass die "German Angst" für immer in unseren Genen verankert
ist? Werden wir auf ewig ein Volk von Bedenkenträgern bleiben? Es
besteht Hoffnung, dass dem nicht so ist: Die Züricher Forscher fanden
nämlich bei ihren Mäuseversuchen auch heraus, dass sich die Epigenetik
der gestressten Mäuse und ihrer Nachfahren wieder normalisieren kann,
wenn entsprechend positive Umwelteinflüsse auf sie einwirken.
Sie
setzten die Tiere für mehrere Wochen in große Käfige, ließen sie in
sozialen Gruppen leben und gaben ihnen abwechslungsreiche Spiel- und
Bewegungsmöglichkeiten. Dadurch normalisierte sich nicht nur ihr
Verhalten, sondern auch das der folgenden Generationen.
Und auch die Deutschen scheinen sich so langsam von der übermäßigen Angst befreien zu können. Der Unisys Security Index,
der heute bei 146 Punkten steht, hat nämlich auch schon mal höhere
Werte angezeigt: Bei der ersten Erhebung im Jahr 2007 waren es noch 163
Punkte.
Demnach ist die
Angst hierzulande also in den letzten sieben Jahren um elf Prozent
zurückgegangen. Bis zur vollständigen Normalisierung dürfte aber noch
etwas Zeit vergehen: Menschen leben eben länger als Mäuse – und deshalb
braucht es auch ein paar Jahre mehr, bis die Folgen traumatischer
Ereignisse wieder aus unseren Genen getilgt sind.
© WeltN24
Hm......überzeugt mich nicht so ganz. Bin zwar als kleiner Mensch nach dem Krieg auf die Welt gekommen, das wäre ich aber auch ohne Krieg. Immerhin stamme ich aus einer Zwergenfamilie. Wäre interessant mal raus zu finden ob nach dem Krieg(e) die Babys kleiner zur Welt gekommen sind. Außer den Ergebnissen aus Holland. Und dann wie sie sich entwickelt haben. Erlebe immer wieder das der Letzte von einem Wurf meiner Haustiere der Kleinste ist, aber sich schon nach ein paar Wochen verwächst. Vom letzten Wurf, den man beobachten konnte, ist der Erste nun der Kleinste und der mittlere der Größte. Voraussetzungen gleich. Denke schon das bei Hunger die Kinder sich schlechter entwickeln. Aber wenn 180cm in den Genen steckt, dann gibt es den dünnen 180iger oder dicken 180iger. Glaube eher das wir viel zu viel essen und dafür wir uns immer weniger bewegen. Die Angst ist nicht nur vererbbar, sondern man kann sie auch suggerieren. Wer von morgens bis abends immer hört...PASS AUF! pass auf wo du hintrittst, pass in der Schule auf, pass auf, das du keine Ohrfeige bekommst....da kann man nur Ängste fördern. Gut, dass ich so wenig davon mitbekommen habe. Bei uns wurde viel gelacht oft auch über einen. Mein Bruder ist im Krieg geboren ich danach. Er ist größer als ich , dafür dicker und hat wenig Ängste obwohl er echt traumatische Erlebnisse hatte. Aber das der Deutsche viel Angst hat, hört man von allen Seiten. Die anderen Länder hatten auch die Kriege. Deutschland war ja nicht allein...leider... Warum gibt es da nicht diese massiven Ängste?
AntwortenLöschen