ArgentinienLügen, täuschen und behindern

Das kleine Uruguay produziert bereits mehr Fleisch als Argentinien

Das kleine Uruguay produziert bereits mehr Fleisch als Argentinien

Brasiliens Wirtschaftskraft ist heute mehr als sechsmal so groß wie die Argentiniens. Vor einer Dekade fühlte man sich noch auf gleicher Augenhöhe. Die Wirtschaft des kleinen Nachbarlandes Chile ist dynamischer und stabiler. Das Andenland Peru wächst sei Jahren schneller. Das bürgerkriegsgeschüttelte Kolumbien organisiert seine Wirtschaft besser. Selbst das kleine Uruguay mit sechs Prozent der Landfläche Argentiniens zieht mehr Auslandsinvestoren an und produziert mehr Fleisch als der große Nachbar. »Früher war Buenos Aires weltstädtisch und Montevideo provinziell«, beobachtet Walter Molano von der amerikanischen Investmentbank BCP Securities, die sich auf aufstrebende Volkswirtschaften spezialisiert hat. »Heute strotzt Uruguay vor Vitalität, und Argentinien versinkt im Pessimismus«.


Das ungewöhnliche argentinische Entwicklungsmodell der vergangenen Jahre funktioniert nicht mehr. Néstor Kirchner war es noch gelungen, das Land aus der tiefen Rezession von 2002 zu reißen – mithilfe eines stark unterbewerteten Pesos, um die heimische Industrie am Leben zu erhalten, und mit einer Subvention, die wiederum mit hohen Steuern auf die Agrarexporte finanziert wurde. Der Erfolg des Modells: Bis 2008 wuchs Argentinien sechs Jahre lang um fast neun Prozent jährlich. Im Krisenjahr 2009 ist die Wirtschaft um drei Prozent geschrumpft. Die Regierung hat für 2010 die »schnellste wirtschaftliche Erholung der vergangenen 30 Jahre« angekündigt, doch niemand glaubt so recht daran. Es ist bekannt, dass die Regierung die Zahlen des Statistikamts manipuliert, um Inflationsrate und Wachstum zu schönen.
Die Wahrheit ist: In den vergangenen Jahren hat trotz des hohen Wachstums kaum jemand in Argentinien investiert, auch nicht die Argentinier selbst. Sie wussten zu gut, dass Kirchner aus Argentinien eine Insel in der Globalisierung gemacht hatte: Isoliert von der Welt durch eine manipulierte Währung und empörte Gläubiger, finanziert durch die Erträge, die die hohen Sojapreise jener Jahre ins Land brachten. Sie wussten, dass die Kirchner-Jahre ihrem Land keinen tragfähigen Aufschwung gebracht hatten, der allen zugute käme. Im Gegenteil.
Die zunehmende Armut kommt immer mehr auch im mondänen Zentrum der 13-Millionen-Einwohner-Metropole Buenos Aires zum Vorschein. Wenn die Vorortzüge morgens im einst eleganten Bahnhof Retiro ankommen, dann strömen immer weniger Büroangestellte im Anzug und Kostüm aus den Waggons. Dafür ziehen Großfamilien zum Betteln und Müllsammeln von dort in die City. »Buenos Aires wirkt auf den ersten Blick europäisch«, sagt Achim Wachendörfer von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Buenos Aires. »Doch wenn man ein bisschen dran kratzt, dann kommt immer mehr die Dritte Welt zum Vorschein.«
Die größte Überraschung der vergangenen zwei Jahre war daher, dass Cristina Kirchner nicht etwa einen Modellwechsel einläutete – sondern dass sie noch viel mehr polarisierte als ihr Ehemann und Vorgänger. Die 56-Jährige legte sich sofort mit den Farmern an, denen sie mehr Ausfuhrverbote und noch höhere Zölle auferlegen wollte, um die inländische Versorgung mit Rindfleisch zu sichern und das Staatsbudget aufzufüllen.
Ein monatelanger landesweiter Farmerstreik, dem sich erstmals auch die städtischen Mittelschichten im Protest angeschlossen hatten, machte ihr einen Strich durch die Rechnung, und der Konflikt schwelt bis heute. »Der Streit Kirchners mit den Farmern ist ideologisch motiviert«, sagt der Südamerika-Experte Achim Wachendörfer. »Die Kirchners stecken fest im Freund-Feind-Schema der fünfziger Jahre.«
Der Schaden ist jedenfalls angerichtet. Die Landwirtschaft ist in Argentinien eine der wenigen Branchen, die überhaupt noch wettbewerbsfähig sind, doch jetzt investieren selbst die Farmer kaum noch. Der Lagebericht der Landwirtschaft zeigt den Abstieg deutlich: Die Farmer pflanzen fast ein Drittel weniger Mais und Weizen an als in den Vorjahren. Nur noch Soja säen die Landwirte, weil es am billigsten ist. Auch das Geld für die Rinderzucht oder die Milchwirtschaft schwindet. »Wer heute in Rinder oder Milchproduktion investiert, wird erst in drei Jahren den Gewinn kassieren«, sagt Luis Kasdorf von El Tejar, dem führenden Agrarunternehmen des Landes und einem der weltweit größten Produzenten von Mais, Soja, Weizen.