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Mittwoch, 31. Juli 2013

Wenn die Katze plötzlich eine Vollmeise hat


Katzen sind schlau und dickköpfig. Aber einen Nachteil haben alle intelligenten Tiere: Sie können Neurosen entwickeln. Bei den Samtpfoten kann das extrem nervtötend sein.
Von Elke Bodderas

In einer ernüchternden Analyse  haben es Katzenhalter und -liebhaber geschafft, ihren ganzen, fast schon an Hass grenzenden Frust systematisiert auf zehn Punkte zu verdichten.

Das Fazit nach der Entschlüsselung des "Geheimnisses der Katzen" ist kurz: Katzen, heißt es da, seien Diven in billigen Pelzmänteln. Der Leidensbericht könnte zusammengefasst in etwa so lauten: Katzen erwarten lückenlosen Service und unbedingte Ergebenheit ihrer Halter, ganz nach dem Kurt-Tucholsky-Motto: "Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal."



Am bedeutendsten ist vor allem Punkt 10, ein Stoßseufzer, der letzte in der Klageliste: "Katzen treiben dich in den Wahnsinn und kosten dich ein Vermögen."

Leider ist das mit dem Wahnsinn wörtlich zu nehmen: Probleme mit Hauskatzen kommen ausgesprochen häufig vor. Das hat eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität in München gezeigt. Fast jeder zweite Katzenhalter klagt über psychische Deformationen seines Tieres, über Ticks und verschrobene Absonderlichkeiten.


In zwölf von 13 Fällen allerdings – und das ergab der zweite Teil der Studie – lassen sich für Problemverhalten natürliche Ursachen finden. Nur bei jeder dreizehnten Katze konnten die Münchner Verhaltensforscher psychische Störungen finden. Beim Rest der Fälle handele es sich um Spleens, die sich aus dem engen Zusammenleben mit dem Menschen ergeben, versichern die Tierpsychologen. Sehr viele Besitzer glaubten, die Instinkte und natürlichen Bedürfnisse ihrer Katze zu kennen – und hielten sie dennoch nur bedingt artgerecht.

Die Katze gilt als leise, unkompliziert und unabhängig – und hat es so zum beliebtesten Haustier der Welt gebracht: In den zehn westlichen Ländern, die weltweit mit den meisten Katzen leben, gibt es 204 Millionen Garfields, Toms, Felix oder Minkas. Dagegen bringen es die zehn beliebtesten Hunde-Nationen auf nur 173 Millionen Exemplare.

In Deutschland leben etwa acht Millionen Katzen – fast alle in Lebensgemeinschaften, die sich der Mensch als idyllische Wohngemeinschaft in harmonischem Miteinander vorgestellt hat. Eine Planung, die selten funktioniert wie erhofft.

Und dafür gibt es einen verhaltensbiologischen Grund: Katzen passen sich nicht an. Im Gegensatz zu Hunden lassen sie sich kaum dressieren, und wie alle charakterstarken, selbstbestimmten Tiere sind sie anfällig für Neurosen – die für das Zusammenleben nervtötend ausfallen können.

Die Missverständnisse zwischen Mensch und Katze fangen schon mit der Wohnungseinrichtung an. Wie soll ein gemütliches Leben auf 70 Quadratmetern aussehen? Dass sich die Einrichtungs-Bedürfnisse einer Perserkatze, die von ihrem stilbewussten Besitzer als elegant eingestuft und auch nur deshalb erworben wurde, kaum mit dem Geschmack ihres Halters in Einklang bringen lässt, ist vermutlich nur den wenigsten klar.

"Katzen hassen sterile Yuppie-Wohnungen", sagt Barbara Schöning, Tierärztin und Expertin für Verhaltenstherapie in Hamburg. In den Augen einer Katze sei das ideale häusliche Jagdrevier eine unordentliche, vollgestellte Wohnung oder eine Rumpelkammer, die reichlich Ruheplätze, Verstecke und möglichst mehrere Katzentoiletten (immer unabgedeckt!) biete. Obendrein braucht eine Katze Kratzbäume – an denen markiert sie ihr Revier. Die Krallenpflege dagegen erledigt sie mit den Zähnen.

Neben tierischen Aggressionen in Tateinheit mit Zerstörungswut ist mangelhafte Stubenreinheit der häufigste Grund, der Katzenhalter in die Verhaltenssprechstunde der Münchner Haustierpsychologen treibt.

"Die meisten Besitzer verstehen nicht, dass Katzen äußerst geruchsempfindliche und hygienische Tiere sind", sagt Thomas Schröder, Bundesgeschäftsführer vom Deutschen Tierschutzbund in Bonn. "Für Katzen sind Toiletten unabdingbar, selbst wenn sie viel draußen herumlaufen."

Allerdings – die Katze setzt sich nicht auf jedes Klo. "Mit einer Plastikwanne und Streu ist es noch nicht getan", sagt Schröder, "bei älteren und faulen Katzen etwa darf der Rand nicht zu hoch sein, sonst lehnen sie ihr Klo als Hindernis ab." Außerdem sollte jeder Halter ausprobieren, welche Streu seine Katze mag. Bei mehreren Katzen in der Wohnung könnten die Geschmäcker da auch auseinandergehen.

Uriniert die Katze dennoch, wohin sie nicht sollte, raten die Tierpsychologen zu tieferer Ursachen-Analyse. "Wenn gesundheitliche Probleme wie ein Harnwegsinfekt ausgeschlossen werden können, lassen sich die Gründe meist in zwei Kategorien einteilen", sagt die Hamburger Haustierpsychologin Schöning. "Die meisten Katzen setzen ihren Urin oder Kot außerhalb der Toilette ab, weil sie vor etwas Angst haben oder weil sie etwas stresst."

Was Katzen Angst macht? Die Liste ist lang: "Eine Katze kann alles stressen: der neue Schrank, die neue Lebensgefährtin, ein Kater im Haus gegenüber oder Bauarbeiten auf der Straße."

Das Problem sei, dass sich die Tiere im Gegensatz zu Hunden nicht so sehr durch ihre Körpersprache mitteilen könnten. "Daher merken viele Halter erst spät, dass ihr Tier Angst oder Stress hat – was sich oft durch Pinkeln außerhalb der Toilette äußert", sagt Schöning.

Zu viel Gesellschaft kann genauso falsch sein wie zu wenig. "Womöglich fühlt sich die Katze durch eine zweite Katze beim Toilettengang beobachtet – wenn deren Kratzbaum zu nah an ihrer Toilette steht", sagt Ludwig. Andererseits sei Einsamkeit auch nicht gut. "Katzen brauchen die Nähe zum Menschen, es kann sie auch stressen, wenn der Halter plötzlich immer drei Stunden später als sonst nach Hause kommt."

Wie erzieht man eine Katze? Mit reichlich Belohnung – und auf keinen Fall mit Strafen, sagt Tierpsychologin Schöning. Grundsätzlich reagierten Katzen viel negativer auf scharfe Worte als Hunde. Katzen leben ihre Autonomie. Sie haben Demut und Folgsamkeit schlicht "nicht nötig". Ein Hund leidet bei Missachtung und Strafen, Katzen dagegen reagieren mit Befremdung.

"Das Problem mit der Strafe ist, dass die Katze sie mit der bestrafenden Person in Verbindung bringt. Sie kommen nicht auf die Idee, dass mit der Strafe ihr eigenes Fehlverhalten gemeint sein könnte", sagt Denis Turner, Verhaltensforscher aus Zürich. Sie flüchte sich dann in die Eigenständigkeit.

Die Unabhängigkeit der Katze sei schließlich das stärkste Merkmal, das sie vom Hund unterscheide: Während ein misshandelter Hund noch um Zuwendung winselt, macht sich eine Katze aus dem Staub. Meistens bittet sie im Nachbargarten um Aufnahme. Mensch ist Mensch, der eine wie der andere. Für Katzen jedenfalls.

 Hach, was für ein Leben! Den größten Teil des Tages schläft man, und wenn man nur lieb genug schaut oder schnurrt, muss man sich nicht einmal selbst ums Essen kümmern.

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