Die Brasilianische Staatspräsidentin Dilma Rousseff
Die Brasilianische Staatspräsidentin Dilma Rousseff ©Roberto Stuckert Filho
Diese endlos langen Erklärungen! Wenn Brasiliens Präsidentin spricht, lehnt man sich besser erstmal zurück. Man winkt dann als Journalist nach einem frischen Glas Wasser und schielt auf die Batterieanzeige des Aufnahmegeräts. "Eine Frau ist kein schwaches Wesen, und eine brasilianische Frau erst recht nicht. Wir mögen emotionaler und affektierter sein, aber deswegen noch lange nicht schwach", kommt Dilma Rousseff zum Schluss. 3 Minuten und 9 Sekunden sind für die Antwort auf eine Frage der ZEIT verstrichen. Und diese Frage hatte lediglich gelautet, wie es ihr eigentlich geht.
In Brasilien ist Staatskrise, und die Präsidentin spricht darüber mit Journalisten aus dem Ausland, von der ZEIT und der New York Times und Le Monde und so weiter. Das macht sie sonst fast nie, und es hat wohl damit zu tun, dass sich die großen Medienkonzerne ihres eigenen Landes recht offen dem Sturz der Rousseff verschrieben haben. "Dies ist ein Staatsstreich", lautet die alarmierende Botschaft der Präsidentin an den Rest der Welt. In einem Land mit 200 Millionen Menschen, der siebtgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. 



Das sagt man natürlich nicht einfach so – als Präsidentin einer Republik. Ein "Staatsstreich", weil die Staats- und Regierungschefin sich im Clinch mit der Opposition befindet? Man könnte argumentieren, dass diese Wortwahl selbst mit demokratischen Regeln bricht, dass auch sie gefährlich ist. "Reden wir über das Verfahren zur Amtsenthebung, das gegen mich läuft", hebt Rousseff zur Antwort an und lehnt sich ein wenig zurück, die Hände bequem auf dem Tisch. Jetzt, das weiß man schon, wird es erst recht ausführlich werden, wird eine umfassende Erklärung ganz in der Tradition linker Staatschefs Lateinamerikas folgen.

Viel mehr als eine einfache demokratische Auseinandersetzung

Die brasilianische Präsidentin glaubt, dass ihr Land in viel mehr als einer ganz normalen demokratischen Auseinandersetzung steckt. Stimmt wohl: In den vergangenen zwei Wochen ist Brasilien in politische Tumulte gestürzt, wie man sie selten irgendwo auf der Welt erlebt – mit einem Abhörskandal, Massendemonstrationen, Erkenntnissen über ausufernde Korruption der politischen Elite und einem Ex-Präsidenten, den ein Untersuchungsrichter jagt.

Verfolgte verfolgen Rousseff

Rousseffs unmittelbares Problem ist ein Amtsenthebungsverfahren im Abgeordnetenhaus. In der vergangenen Woche hat eine parlamentarische Kommission ihre Arbeit aufgenommen, die entscheiden soll, ob die Präsidentin wegen Fehlverhaltens aus dem Amt gejagt wird. Mitte April soll sie zu einem Ergebnis kommen, und es ist ein Verfahren voller Absurditäten. Die Kommission ist voller politischer Feinde Rousseffs und eine feine Gesellschaft sitzt da keineswegs beisammen: Etwa ein Drittel der Abgeordneten hat die Polizei oder irgendwelche Untersuchungskommissionen wegen Korruption oder anderer Delikte am Hals. Ein Mitglied wurde schon per Interpol gesucht.
Der Chef dieser Kommission, ein evangelikaler Eiferer und politischer Meisterspieler namens Eduardo Cunha, wird zur Zeit in einer ganzen Serie von polizeilichen Untersuchungen zitiert. Unter anderem besitzt er völlig unerklärliche millionenschwere Geheimkonten in der Schweiz. "Er ist von der Polizei angezeigt worden, er wird nicht einfach bloß untersucht", betont Dilma Rousseff. Sie, die Präsidentin, sei von dem Oppositionspolitiker Cunha erpresst worden. Nach dem Motto: Wenn die Regierung nicht die Untersuchungen gegen mich einstellen lässt, dann stürze ich die Präsidentin.

Rousseff gilt als unverdächtig

"Nie habe ich auch nur ein einziges Mal die Macht der Regierung benutzt, um jemandem etwas zugutekommen zu lassen, das ihm nicht zusteht", sagt Rousseff, und jetzt wird ihre Stimme lauter, ihre Augen werden größer und ihr Zeigefinger durchbohrt mit kräftigen Stößen die Luft. "Ich habe den Armen dieses Landes Vorzüge verschafft. Ich habe denen etwas zugeschoben, die schwächer sind."
Tatsächlich gilt Dilma Rousseff weit und breit als unverdächtig der Korruption, und damit als eine Ausnahmeerscheinung in der brasilianischen Politik. Belangt werden soll sie wegen einer technischen Feinheit: dass sie in ihrer ersten Amtsperiode, vor ihrer Wiederwahl im Oktober 2015, den Staatshaushalt falsch berechnet habe. Jeder in Brasilien weiß, dass es darum gar nicht geht. Aber nochmal: Ein Staatsstreich?

Medienkampagne gegen Rousseff und Lula?

Es kommt noch mehr hinzu. Ein brasilianischer Bundesrichter, der wegen seiner ehrgeizigen Antikorruptionsermittlungen im ganzen Land zu einer Art Nationalheld aufgestiegen ist, interessiert sich seit Monaten auffällig stark für Politiker des Regierungslagers und auffällig wenig für solche der Opposition. Kürzlich ließ er den engsten Verbündeten Rousseffs, ihren Mentor und Amtsvorgänger Lula da Silva, von dessen Haus abführen. Stichhaltige Beweise für irgend ein Fehlverhalten sind bisher jedoch nicht bekannt geworden. Das führte zu einer atemberaubenden Serie neuer Verwicklungen, zumal Lula 2018 noch einmal als Kandidat für die Präsidentschaft antreten will.
Die großen Medien des Landes, allen voran der Fernseh- und Zeitschriftengigant O Globo, rufen derweil zu Massendemonstrationen gegen die Präsidentschaft auf und stellen Lula da Silva und Dilma Rousseff als eine Art Mafiachefs dar. Als vergangene Woche eine Polizeirazzia beim größten brasilianischen Baukonzern eine Liste von Politikern hervorbrachte, von denen viele offenbar bestochen wurden, fiel die Berichterstattung auffällig mager aus. Auf der Liste standen auch sehr viele Politiker der Opposition.