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Freitag, 31. Mai 2013

Stille Tage in Westend


Es ist der 20. Oktober vor einigen Jahren.... vormittags: Ich lande vom Reitpferd direkt ins Paulinenkrankenhaus Westend. Die Bezeichnung „Krankenhaus“ empfinde ich als Hochstapelei. Eher sieht es wie ein ergrautes Mehrfamilienhaus aus, das Renovierungsdünste ausstößt.
Nach dem üblichen Frage und Antwortspiel in der Aufnahme werde ich in die altersschwache Röntgenabteilung gefahren. Mir wird ganz schlecht. Nur der dumpf aufkommende Schmerz hält mich von einer Flucht ab. Egal, Hauptsache die Weißkittel bestätigen mir, dass ich noch einmal Glück hatte! Und wenn ich diesen Gaul noch mal erwische, dann….
Aber die Diagnose ist niederschmetternd: Instabile Wirbelfraktur - mindestens sechs Wochen wie ein Maikäfer auf dem Rücken flach liegen.
Über mir lösen sich Teile der Deckenverkleidung. Im Dämmerlicht des dunklen, muffigen Raumes gaukeln sie eine Beweglichkeit vor. Beweglichkeit.
Alles wird unwirklich. Fragen erreichen mich kaum.
„Rauschgift?“
„Nein danke“
„Alkohol“
Ich könnte jetzt dringend was brauchen.
Was soll der Quatsch! Es geht um meine Existenz und gesichtlose Münder bearbeiten mich mit idiotischen Fragen! Sie bearbeiten meine Beine mit Nadeln:
„Tut das weh?!“ „Nein“, kann ich nur fauchen.
Schweißperlen sehe ich auf der Stirn des Arztes. Ich fange an zu frieren, meine Zähne klappern. Ich kann nicht dagegen ankämpfen.
Himmel wie komme ich hier nur weg? „Was ist, wenn ich auf eigene Verantwortung gehe?“
Ein kläglicher Rest von Hoffnung dem Schicksal zu entrinnen. „Dann können Sie sich schon mal einen Rollstuhl aussuchen!“ „Ich liebe Blau.“
Ich werde an ein Fenster ins Krankenzimmer geschoben. Irgendwann geht die Sonne unter. Der Himmel verfärbt sich in prachtvollen Farben. Ich möchte ihn malen, festhalten… die Gespenster der Nacht verscheuchen.
Ich hatte Glück! Noch heute gehe ich einmal am Tag jeden Schritt bewusst.





Hatte auf einmal viel Zeit zum Nachdenken , denn ich lag wirklich viele Wochen wie ein hilfloser Maikäfer auf dem Rücken. Innerhalb von Stunden wurde ich nach der Diagnose beruflich ausgetauscht. Ein, zwei Sätze in den Nachrichten, drei in den Zeitungen und man war vergessen.  Die Nachfolgerin soll sehr gut gewesen sein. Ist nicht einfach zu begreifen wie leicht man zu ersetzen ist.
War nicht nur ein Sturz vom Pferd, sondern auch von meinem Ego.

Nachdem ich ein paar Tage später bei der Nadelpicksprobe  aufschrie, freuten sich alle einen Keks. Begriff zuerst gar nicht  die Freude der Ärzte. Der Nerv war nicht verletzt, kein Rollstuhl! Nun heulten wir alle. Ich hatte wieder eine neue Zukunft.

Das war der Beginn mein Leben zu ändern. Nicht aus Zwang, weil man nicht mehr laufen konnte, sondern freiwillig. Ging sogar noch zurück in meinen Beruf um mir wirklich sicher zu sein ob ich darauf verzichten konnte. Es war ganz einfach. Von da an machte ich nur noch was ich wollte.  Bergtouren in Andalusien,  Länder bereisen, stundenlang nichts tun, Sandburgen bauen und landete irgendwann in Uruguay.

Hier bin ich nun kleben geblieben.  Beim ersten Flug nach Uy, sprangen auf einmal Menschen auf und versuchten durch die Minifenster etwas zu sehen und schrien : "Mi Pais!" Ein Mann nahm meine Hand und zog mich zum Guckloch und quitschte vor Aufregung. Er hatte Tränen in den Augen. Ich sah gar nichts, ein paar Flecken, vielleicht Felder aber Wolken fetzten vorbei weil wir uns im Sinkflug befanden. Schon saß man angeschnallt und hoffte auf eine gute Landung. Mein Tränennachbar schnäuzte sich und stammelte er hätte 4 Wochen seine Familie nicht gesehen. Irgendwie hatte ich Probleme nicht laut los zu lachen. Ganze 4 Wochen.
Im Flughafen gab es Szenen als wären alle Uruguayer einige Jahre nicht zu Hause gewesen. Empfänge von Trauben von Angehörigen die jubelten, küssten und heulten. Brauchte einige Zeit um das zu verstehen. Heute bin ich die erste die jubelt und heult. Echte Emotionen los zu lassen, das ist was besonderes. Liebe dieses Land, diese Menschen die mir gezeigt haben das es Dinge gibt , die ich fast vergessen hatte.

 





 

2 Kommentare:

  1. Nix schnief.....habe es geschafft und laufe täglich immer noch bewusst. Ein Geschenk...habe zwar auf Kamelen gesessen aber nie wieder auf einem Pferd. Habt ihr schon die Minipferde im Vorgarten gesehen? Des isch meinscht zum üben.

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